Blauer Himmel über Köln. Ich sitze vor dem Haupteingang des E-Werks und harre mit Zigaretten und Zeitung der Dinge die da kommen sollen: Ein Interview mit den Herren von TOMTE – ob die tatsächlich so unkompliziert sind, wie immer behauptet? Immerhin: das neue Album ging auf Platz 9 in den Charts, die Konzerte in Wien, Bochum und Hamburg sind ausverkauft. TOMTE haben definitiv eine grüne Welle auf dem Erfolgskurs, wenn vielleicht auch nicht auf den Straßen Kölns. Ein bisschen später als geplant rollt das Taxi durch das Tor und ich darf Max, Simon und Thees die Hände schütteln. Ja, das ist in der Tat sehr unkompliziert. Ich werde durch den Seiteneingang in die Backstageräume bugsiert und verteile noch schnell eine Zigarette an den Bassisten Niko, dann nehme ich auf dem Sofa Platz während mir Herr Uhlmann kurzerhand noch ein Wasser bringt und dann, mit Karotte in der Hand, selbst mit dem Stuhl gegenüber vorlieb nimmt. Cristina: Vier Wochen „Heureka“ – ein erstes Fazit? Seid ihr zufrieden damit, wie die Platte aufgenommen wurde? Thees Uhlmann: Sehr. Also, ich kenn mich halt in meinem nähren Zirkel aus, ich kenn mich bei den Leuten aus dem Forum aus, und wenn die das gut finden ist man beruhigt, für den Rest kann man eh nichts machen. Das ist einfach immer abhängig von Zeitgeist und was gerade so in ist. Und die Band ist wahnsinnig zufrieden mit der Platte. Das ist ne gute Sache. C: Die ZEIT hat über „Heureka“ geschrieben: „Wie seidenmatt glänzender Rockbrei“... TU: Wie seidenmatt glänzender Rockbrei... (denkt nach) Journalisten haben immer Recht, ne? Aber auch im Vergleich zu anderen deutschen Bands empfinde ich unsere Musik als fast filigran, ehrlich gesagt. C: Inwiefern? TU: Vor allen Dingen durch die Gitarren von Dennis und wie das mit dem Klavier korrespondiert. C: Haben sich die Veränderungen im Bandpersonal auf der Platte niedergeschlagen? TU: Ja, schon alleine dadurch, dass wir Simon jetzt dabei haben. Der ist halt wirklich ’n Pianist. Ich kann zu dem echt sagen Spiel mal Rachmaninov... (das Handy klingelt)...ganz kurz mal eben. ...es hört sich nach TOMTE an, aber man will sich ehrlich gesagt auch selber kicken und die Sache für sich selber interessant halten. Und deswegen verändern sich fließend immer Sachen. Ich weiß gar nicht, wie viele Fans das im Endeffekt hören, aber das ist dann ja halt auch ne persönliche Sache. C: Hat „Heureka“ einen besonderen Stellenwert in der Reihe eurer Platten? TU: Das kann man immer erst nach zwei Jahren sagen. Dazu ist es noch viel zu früh, auch wenn du fragst, was ist ein Lieblingslied von der Platte kann ich dir das nicht sagen, weil alle Songs haben noch eine besondere Geschichte mit einem, und die sind alle noch viel zu nah dran. C: Du sagst ja immer, dass TOMTE mehr ist als Thees Uhlmann... TU: Ja. C: ... aber wenn jetzt soviel „Gerappel im Bandgefüge“ war, und TOMTE existiert immer weiter, wie viel Thees Uhlmann ist denn dann TOMTE? TU: Ich glaub, so Musik ist ’ne Sache, die ziemlich viel mit Herz und Emotionen zu tun hat, und Emotionen und Prozentzahlen passen nicht besonders gut zusammen. Weißt Du wie der Bassist von Coldplay aussieht? C: Nee... TU: Siehst Du, weiß keiner, und er ist trotzdem Millionär. TOMTE war noch nie so wenig Thees Uhlmann wie es zur Zeit ist. C: Alle Musiker bei TOMTE haben ja immer noch andere Musikprojekte am Laufen. Hat das einen Effekt auf Eure Band? TU: Nee. Ich glaub nicht, ehrlich gesagt. Dennis macht ja wirklich auch – ich weiß gar nicht wie man solche Musik nennt- ist das Mini... nee, Minimaltechno ist das auch nicht... ich glaub, das ist einfach elektronische Musik würde man dazu sagen. Das hat natürlich überhaupt keinen Effekt auf TOMTE. Olli Schulz auch nicht. Und Sir Simon Battle auch nicht. Das sind mehr so die Persönlichkeiten, die da zusammen Musik machen, das hat den Einfluss. Und Simon Frontzek hat uns wegen seiner Persönlichkeit und mit seinem know-how verändert, aber nicht Sir Simon Battle. C: Ist das ein Phänomen im Grand Hotel, dass ihr untereinander die Musiker tauscht? TU: Wir sind halt ’ne Community, ’ne Szene. Vielleicht hab ich noch nie drüber nachgedacht. Vielleicht ist das ’n Phänomen, ja. C: Ist ja schon auffällig... TU: Ja. Wir sind halt gute Leute, mit denen hängt man gerne rum. Ich wurde bloß noch nie gefragt, ob ich irgendwo mitspielen darf. C: Dafür hast du mit das Label am Laufen! TU: Das stimmt! Fairer Deal... C: Wenn du Texte schreibst, denkst du darüber nach, ob die Leute das verstehen, wenn sie es hören? TU: Nee. Ich denk nicht darüber nach, ob die Leute das verstehen. Das Wichtigste ist, dass ich das verstehe, ehrlich gesagt. Und das, was bei Euch als kryptisch ankommt, ist für mich ’ne Möglichkeit, das für mich möglichst genau aufzuschreiben. Ich könnte auch singen „ich fühl‘ mich allein aber trotzdem gut“-würde vielleicht auch stimmen, aber ich kann auch singen „ich fühl‘ mich wie der letzte große Wal“. Das ist viel näher an dem Kern der Wahrheit, den ich meine. C: Wundert dich das, was manche Leute in die Texte reininterpretieren? TU: Nö! Das ist ja wie ein Gemälde, ne? Also - nee. Das ist wunderschön, wenn Leute da was reininterpretieren. Es ist auch wunderschön, wenn Leute darin Sachen lesen, die ich so ähnlich erdacht hab. Und vor allem geht es bei TOMTE-Texten ja auch, dass man was da reininterpretiert, weil‘s ja wirklich auch um ’ne Abbildung von der Realität geht, oder um Realness, und da haben Leute halt einen Bezug zu. Das ist schön, sehr schön. C: Was für Menschen hören Deiner Meinung nach TOMTE? Ist das ein bestimmter Menschenschlag? TU: Nee. Gestern in Hannover, da waren so wahnsinnig viele junge Leute beim Konzert, da hab ich gedacht: Junge Leute, warum hört ihr euch diesen depressiven Kram an? Aber die sahen ganz glücklich aus dabei. Und auf der Empore hab ich wieder Leute gesehen, die locker 40 waren. C: Aber ist Eure Musik so traurig? laut.de hat zum Beispiel geschrieben: „Thees Uhlmann lässt sich vom Glück überrollen“ auf „Heureka“. TU: Das stimmt überhaupt nicht. Das ist wirklich ’ne Fehlinterpretation. Daneben. Sechs. Setzen. Ja, wirklich total falsch. Die letzte Platte davor, da hab ich mich vom Glück überrollen lassen, und das hab ich auch gerne gemacht. Und exzessiv gemacht, aber auf der neuen Platte... Nee, stimmt nicht. C: Aber das sind schon Leute, die sich auf die Texte einlassen müssen, das ist ja nicht zum Nebenbeihören. TU: Das ist aber nur, weil’s in diesem Land ungewöhnlich ist, und weil die Leute nicht damit zu Recht kommen, eine Stimme zu hören. Es kommt mir manchmal so vor, als ob der Strokes-Sänger und ich, als ob wir ’ne ähnliche Art haben, Texte zu singen, oder über Sachen nachzudenken. Da versteht man auch überhaupt nicht, was der meint, aber dann ist das Lied zu Ende, und dann hat man dann doch gedacht: ach ja, genau das hat der gemeint! Das ist einfach nur dieses Phänomen, das das halt immer noch neu ist, so wie TOMTE über Sachen zu singen. C: Haben die anderen Einfluss auf deine Texte oder ist das die Rollenverteilung, dass nur du schreibst? TU: Sie haben keinen Einfluss, aber je länger es uns gibt, desto mehr kann ich auch Leute an unsere Texte ranlassen. Ich hab die einfach rumgeschickt und hab gesagt: hier, das ist das, was ich singen will, so ungefähr, so zu 95%, schreib was dazu auf. Und dann haben die sich das durchgelesen, und haben, ehrlich gesagt, auf extrem geile Art und Weise mich sein lassen, aber da eingegriffen, wo sie es nicht gut fanden. Da fand ich mich extrem gut respektiert und angenommen von der Band. C: Und das ist auch OK für Dich? TU: Ja natürlich, die müssen sich den Scheiß ja jeden Abend anhören. C: Gibt es Lieder, die du nicht mehr gerne spielst? TU: Jaa, aber nur so, die ich die musikalisch inzwischen schlecht finde, oder irgendwie so was. Ja, klar, gibt’s da welche. Aber es gibt auch noch Songs, die sind ganz alt, die spiel ich noch total gerne. C: Zum Beispiel? TU: „In Köln und dann in meinem Zimmer“ von unserer ersten Platte. Wo ich auch denke: Alter Schwede, du warst vielleicht noch nicht der coolste Typ auf der ganzen Welt, aber eigentlich ist der Text ganz schön geil. Musik ist eh geil immer, aber wie lustig das ist, wenn man sich nach 10 oder 12 Jahren singen hört, und genau weiß, wie das damals war. Sehr schön, schönes Gefühl. C: Auf Eurer Website gibt’s die Aufforderung „Zweifeln Sie den Begriff der Hamburger Schule an!“. TU: Ich weiß gar nicht, wer das geschrieben hat! Da steht aber auch „An Wikipedia mitarbeiten“, ne? Vielleicht hat Tillmann das geschrieben, vielleicht hab ich das geschrieben. Einfach nur so. C: Also zählt ihr Euch nicht zur Hamburger Schule? TU: Gibt’s die Hamburger Schule überhaupt noch? C: Das ist die Frage... TU: Manchmal wird man da noch nach gefragt, aber... Wir finden das alle gut, wenn Sachen so ill sind, so kaputt und krank sind. Und ich find den Satz „Zweifeln Sie den Begriff der Hamburger Schule an und arbeiten Sie an Wikipedia mit.“, find ich gut. So sinnlos, aber man könnte trotzdem zwei DIN-A4 Seiten darüber schreiben. C: Ihr seid ja mittlerweile alle in Berlin. Ist TOMTE noch eine Hamburger Band? TU: Viele Leute wissen das ja auch gar nicht, dass wir jetzt in Berlin sind. „Ja was macht ihr denn so in Hamburg?“ ... Ich hab das nie so wichtig empfunden, wo ich wohne. Ich bin ja auch großer NRW und Köln-Fan und könnte auch morgen hier hin ziehen. Ich glaube, die Musik hört sich einfach nach Hamburg an. Genau wie Manchester sich nach Manchester anhört und nicht nach London. So eine Band wie Oasis wäre in London niemals denkbar gewesen. C: Was ist an euch dann Hamburgisch? TU: Keine Ahnung... Ne bestimmte Art Gitarre zu spielen, bestimmte Hingezogenheit zu manchen Akkorden. Ich texte halt anders als The Notwist. C: Ist es anstrengend, wenn man immer der Held der Texte ist, der Nette und Saufkumpan? TU: Ich hab mich nie verstellt. Jedes Wort darüber ist eigentlich zu viel, weil a) hab ich kein Interesse daran, mich zu überhöhen, und b) wie armselig oder wie komisch ist denn ’ne Künstlerschicht, wo das schon besonders ist, wenn ein Sänger mal rausgeht und sich mit jemandem unterhält aus ’nem persönlichen Interesse heraus. So seh’ ich das ein bisschen. Wenn ich weiß, dass in Hannover der Chef vom Forum am Merchandise-Stand steht, dann ist es alles andere als unhöflich da hinzugehen. C: Hast du das Gefühl, dass Du manchmal überhöht wirst? TU: Ich bin so’n cooler Typ, ich kann gar nicht überhöht werden. Überhöhen... Man ist gerne Fan von etwas. Ich überhöh den FC St. Pauli ja auch! Das ist halt ein mittelmäßiger Zweitligaverein, aber die sind jetzt auf Platz 4 – wie häufig ich darüber nachdenke! Gestern haben wir Slayer gehört, weil die gar nicht wussten, warum Slayer eine der grandiosesten, lyrischsten Bands auf der ganzen Welt ist. Wenn Leute ein Herz haben, neigen sie dazu, irgendwas toll zu finden und das extrem gut zu finden. So leb’ ich und so leben halt auch viele von den TOMTE-Leuten. C: Und weil du selber Fan bist hilft es dir das zu verstehen? TU: Das interessiert mich gar nicht, das zu verstehen. Ich nehm’ das ehrlich gesagt als Geschenk, wenn jemand sagt: Thees Uhlmann ist mein Macker, was der sagt, darauf kann ich mich beziehen. So hab ich immer gelebt, so leben ganz viele Leute. Wenn ich die Gabe hab, ’nen Satz aufzuschreiben, der den Leuten das Herz berührt, ist das wie ein Geschenk. Da hab ich Demut vor. C: Auf allen TOMTE-Konzerten, auf denen ich bisher war, haben alle selbst den Soundcheck gemacht, nur Du nicht – warum? TU: Warum warst du denn schon beim Soundcheck dabei? C: Na, auf Festivals und so. TU: Ach so! Weil ich zu aufgeregt bin vor dem Konzert. Ich sing mich warm, konzentrier mich, trink warmes Wasser, geh die Setliste durch. C: Nach so vielen Jahren immer noch aufgeregt? TU: Nicht aufgeregt von wegen: Was soll ich gleich machen? Sondern das ist eine bestimmte Form von Anerkennung und Konzentration vor der Sache. Frank Sinatra hat glaub ich auch nie Soundcheck gemacht. C: Das Konzert in Wien ist ausverkauft... TU: Ja. Bochum auch. C: Freut Euch das noch richtig? TU: Ja natürlich, klar! C: Ist es anders, in Österreich zu spielen? TU: Es ist, ehrlich gesagt, auch anders in Bremen zu spielen als in Hannover zu spielen. Also, entweder ist alles gleich oder es ist immer ein bisschen unterschiedlich. So kann man das nur ausdrücken. Wien, Hauptstadt, pi und pa... Am Ende ist immer alles ein bisschen anders. C: Aber ist es was besonderes, wenn jetzt Wien ausverkauft ist, statt Hamburg? TU: Hamburg ist auch ausverkauft... Nö, man freut sich einfach über das Ausverkauft-Schild. C: Du wolltest 1000 € spenden, weil Du nicht gebloggt hast. TU: Genau. C: Wo ist das hingegangen? TU: Das eine geht an ein Rechtsanwaltskonto, für Leute, die dafür gesorgt haben, dass ein Thor-Steinar-Laden aus der Innenstadt verschwindet, und die anderen 500€ weiß ich noch nicht, wo die hingehen. Das wird wahrscheinlich irgendwas nicht-politisches sein, was Karitatives. C: Wie kam es zu dem Deal, dass ihr das gemacht habt, dass Du spenden willst? TU: Weil ich Lust hatte, zu bloggen. Und ich wollte mir selber sozusagen ’ne Pflicht auferlegen, weil dann weiß ich, ich bleib am Ball. Das Lustige war, wir waren auch in Köln und haben unser GHvC-Meeting gehabt, was wir einmal im Jahr haben, wo alle so sagen: wie war das letzte Jahr, wie wird’s nächstes Jahr, welche Bands könnten wir signen, wie viel Geld sollte man ausgeben... Einfach wie so ’ne Firma halt, die ab und zu mal wegfährt, sozusagen. Und wir haben so viel geredet, dass ich an dem Tag vergessen hab, zu bloggen. Ich weiß noch, um 19 Uhr 50 dachte ich: Du musst noch bloggen, jaaa, aber nicht jetzt – rausgefallen... C: Aber jetzt schreibst du auch nicht mehr jeden Tag? TU: Nee, nee. C: Letzte Frage: Was sollte man in diesem Winter musikalisch nicht verpassen? TU (kaut bedächtig seine Möhre und überlegt lange...): Keine Ahnung! Fällt mir nichts ein, ehrlich gesagt. Was kommt denn auf Platte raus? C: Du bist hier der Insider! TU: Stimmt. C: Irgendwelche Grand Hotel-Projekte? TU: Zur Zeit nicht. Die Band, die ich dieses Jahr am meisten gehört hab ist Why. Das find‘ ich wahnsinnig schön. C: Also gehen wir alle zum Home of the Lame-Konzert. TU: Wir gehen alle zum Home of the Lame-Konzert! Genau!