Bei einem Promotiontermin von Liam Cormier in Berlin hatte ich die Chance den Sänger der CANCER BATS zu ihrem neuen Album „Dead Set On Living“ interviewen zu dürfen. Die Möglichkeit lässt man sich natürlich nicht entgehen und so traf ich Liam im Ramones Museum zu einem Gespräch über die Arbeit am Album, Rock’n’Roll-Klischees und betrunkene Physiker. Da Liam ein aufgedrehter, positiver Typ ist, der viel kichert und bei Erzählungen und Beispielen offensichtlich gerne anschaulich Stimmen imitiert, habe ich diese Eigenheit auch beim Abtippen versucht zu zeigen. Ich durfte "Dead Set On Living" schon hören, aber beschreibe es doch bitte einmal für diejenigen, die es noch nicht kennen. Vielleicht auch im Vergleich zu früheren Alben. Also, wenn es nach mir geht, ist das jetzt natürlich die beste Repräsentation davon, was wir als Band eigentlich sind. Ich glaube nicht, dass wir früher wirklich einfangen konnten, wie wir eigentlich klingen, also live. Die Aufnahmen gaben zwar die Aggression und die Härte wider, aber eben auch die Sterilität des Studios. Du kannst genau hören, was der Bass macht, was die Drums machen, alle diese Einzelteile, so talentiert die Jungs auch sein mögen. Ich denke, es hat einfach bis jetzt gedauert, drei Alben. Aber man lernt ja immer aus seinen Fehlern, erfährt, was man eigentlich möchte. Wir haben eben erst am Ende eine „Band“ erhalten. Es hat alles mit Scott und mir angefangen, dann kam Mikey, dann Jaye und wir mussten erst lernen, wie wir alles zusammenwirken und –schreiben . Jetzt haben wir endlich eine richtig zusammenhängende Band. Ich wünschte mir fast, dass das jetzt unser erstes Album wäre, dass uns jetzt erst alle kennenlernen würden. Ich will damit gar nichts gegen die früheren Alben sagen, aber ich liebe einfach wie die Dinge gerade sind. Fast als wären wir eine neue Band. Wenn die Leute also nicht nur das neue Album noch nicht kennen würden, sondern auch die früheren nicht… das wär perfekt (lacht aufgedreht). Einfach mittendrin mit aufspringen. Hat sich der Schreibvorgang dann mit der Zeit verändert? Wie schreibt ihr denn ein Album? Also ich liebe es, wenn die Musik schon den Ton vorgibt, für das wovon die Texte handeln werden. Ich habe natürlich vorher schon Sachen im Kopf, wenn wir touren; ich schreibe immer mal ein paar Ideen auf, aber ich schreibe nie komplette Songs oder versuche etwas zu erzwingen, was dann nicht echt Sinn macht. Musik ohne Sinn? Aber wenn wir ein Album schreiben, machen wir das wirklich alle zusammen. Niemand schreibt etwas ganz allein. Natürlich hat immer jemand mal umfassende Ideen, aber niemand schreibt einen kompletten Song und bringt ihn erst dann zur Gruppe. Wir beeinflussen uns da gegenseitig und jeder muss sich immer mit allen Einzelteilen befassen. Ich möchte immer, dass jeder die eigenen Parts genauso sehr liebt, wie die der anderen. Klar, ich schreibe alle Texte, Jaye schreibt alle Bassparts, Mike seine Drums usw. aber gleichzeitig darf jeder seinen Senf dazugeben, was wirklich gut ist. Wenn ich schreibe, gehe ich immer sicher, dass die anderen alle meine Texte lesen und verstehen können und ihr Feedback abgeben, bevor wir etwas damit machen, damit es für jeden Sinn macht. Könnten sie also tatsächlich sagen: Wir wollen das so nicht. Das ist Mist. Oder kannst du sagen. Ich mag diese Bassline nicht. 100%ig. Ich glaube sogar, dass sie das Selbstbewusstsein meine Texte zu kritisieren dadurch bekommen, dass ich vorher immer einen Monat lang ihre Musik kritisiert habe (lacht). Wir alle haben eben unsere Meinung und es passiert schon häufig, dass ich mich noch einmal an die Lyrics setzen muss. Ich habe manchmal schon fast ein Problem damit, dass ich zu „offensichtlich“ schreibe. Also nach dem Motto: „Ey, ich will jetzt einen Song über meine Kumpel schreiben!“ Und dann schreibe ich einen Song, der geht „Dieser Songs handelt von meinen Bros!“. Die anderen sind dann etwas verhalten: „Okay, wir kapieren es, du liebst deine Kumpel. Du hast etliche Songs darüber. Das ist eigentlich nicht gerade interessant.“ Dann denke ich mir: Hmm, eigentlich habt ihr Recht. Dann muss ich mich noch einmal damit befassen und alles überarbeiten. Es ist sehr cool, diese Offenheit zu haben. Auch im positiven Sinne, wenn man eine Idee vorstellt und die anderen sagen „Das ist super!“. Oder eben „Weißt du, das kannst du besser singen“. Ich finde es im Grunde toll, denn jeder Teil sollte alle von uns repräsentieren. Die Texte zum Beispiel; auch wenn ich viele Songs über meine Freundin geschrieben habe, sagen mir die Jungs, dass sie das mögen und auch auf sich übertragen können. Das signalisiert mir dann, dass es auch vielleicht anderen so gehen könnte. Ich mag diese Art Prozess, die Art wie wir gelernt haben, miteinander zu schreiben. Wir sind alle sehr glücklich damit. War es euch da auch wichtig, dass ihr wieder mit denselben Produzenten [Eric Ratz und Kenny Luong] arbeitet oder war das einfach ein angenehmer Zufall, weil ihr sowieso alle in Toronto seid? Nein. Es ist natürlich schon sehr bequem, ich liebe, dass sie einfach auch in Toronto wohnen, das macht es uns superleicht, aber ich liebe vor allem, mit ihnen zu arbeiten. Wir haben einen sehr guten Weg gefunden mit Eric und Kenny zu arbeiten und wissen inzwischen einfach wie die ganze Dynamik funktioniert. Kenny und Scott sind ziemliche Nerds was Gitarren und Gear angeht, Tonnerds. Die harmonieren da einfach miteinander, das ist doch super. Sie können sich einfach in der Gitarrenwelt verlieren und machen das auch. Diese Art von Beziehung muss man erst entwickeln und es hat drei Alben gebraucht, bis sie diese gemeinsame Sprache entwickelt haben. Auf dieselbe Art mögen es Eric und ich sehr an den Lyrics zu feilen, bestimmte Muster zu entwerfen. Er hilft mir, die Vocals zu produzieren. Wir haben ein gutes System herausgefunden, bei dem er einfach mit einspringen darf. Wenn wir nun jemand neues ins Boot holen würden, würde es viel zu lange dauern, wieder sechs Jahre oder so, bis wir diese Vertrautheit hätten. Er fühlt sich gut mit uns und deshalb kann er uns auch sagen: „ Weißt du was, das ist Bullshit. Dieses Solo ist Mist.“ Oder ich komme mit Texten zu ihm und er sagt: „Alter, ich mag das schon, aber das Wort „love“ lässt sich nur schwer rüberbringen. Du musst das deinen Jungs gegenüber rechtfertigen.“ Dann denke ich darüber nach und er hilft mir es zu ändern und wir schreiben dann etwas, was den Nagel auf den Kopf trifft. Das ist am Ende viel besser. Es ist so gut, weil er eben mich und die Jungs richtig kennt, er ist klasse.  Wenn wir jemand anderen hätten, würde der uns vielleicht einfach mach dem Mund reden und wir würden total reinfallen. Das würde ja dazu passen, dass du sagst, ihr werdet als Band mit jedem Album besser. Wenn ihr dieselben Menschen um euch habt, sind ja auch alle anderen Parameter gleich. Genau. Eric ist ehrlich. Er weiß genau, was er früher vielleicht für Fehler gemacht hat und lernt daraus genau wie wir. Es ist ein toller Prozess gewesen, diese Offenheit zu entwickeln, sich Fehler einzugestehen. „Vielleicht haben wir dieses oder jenes früher übertrieben und sollten das verbessern.“ Er findet diese Sachen, die sonst keiner hört und dann fällt uns erst auf, dass wir tatsächlich irgendwas versaut haben (lacht). Wir sehen dann ein, dass wir schlecht waren oder uns haben drängen lassen und dass wir eben in Zukunft darauf achten sollten. Es muss ja richtig furchtbar sein, wenn man hinterher Fehler heraushört, die nun für die Ewigkeit aufgenommen sind. Wenn man ein Bild malt oder so, kann man hinterher noch fast immer Verbesserungen vornehmen. Ja schon, aber es ist ja bei vielen Dingen so. Auch beim Malen gibt es eben manchmal eine Deadline und dann musst du dein Bild in die Galerie bringen, obwohl du vielleicht noch Winzigkeiten verändern möchtest. Ich denke, da gibt es unzählige Künstler, die von so etwas gequält werden (lacht). Zum Beispiel bei Ölmalerei kannst du einfach ewig weitermalen und wir könnten natürlich 15 Jahre auf dieses Album verwenden. Was ihm natürlich nicht zwangsläufig zu Gute kommen würde. Es würde sich immer noch so anhören wie es eben ist. Es gibt keine falsche Antwort. Wir hätten auch nur zwei Wochen brauchen können oder zwei Monate, es gibt kein richtig oder falsch. Vielleicht wäre der Sound dann roher, wir hätten weniger Gitarrenspuren oder bei längerer Zeit vier Mal so viele wie jetzt.  Es wären immer noch die Cancer Bats. Da hat man diese Momente im Studio, in denen man sich denkt, darauf käme es nun wirklich niemandem an. Hast du einen Beispielsong auf diesem Album, an dem noch groß etwas verändert werden musste? Ja, 'Drunken Physics'. Das war am Anfang ein wirklich egoistischer, schwelgerischer Song, an dem nur wir Spaß hatten. Das Riff ist super und es macht solchen Spaß ihn zu spielen, weil man sehr ausschweifen kann. Er war zunächst einfach sooo lang und manche Teile wiederholten sich immer wieder. Da realisierten wir langsam – eigentlich war Mike der erste, der es merkte – „ Ich liebe, was wir hier gerade anstellen, was ich hier an den Drums mache, aber ich übertöne die Gitarre total. Ich spiel viel zu kompliziert, ich muss meinen Part herunterspielen und vereinfachen.“ Dann hat er die Hälfte seiner Snareheads rausgenommen und sich auf die restlichen konzentriert anstatt auch noch auf jede Cymbal zu hauen. Da war ein Teil in mir, der das nicht wollte, weil das andere so cool war, aber ich war auch vernünftig, weil es einfach besser für den Song war und nun alles mehr funktioniert. Wir haben auch bei den Vocals vieles konventioneller gemacht, damit es runder wird, denn es musste einfach klappen, Wir hätten nicht damit leben können, wenn der Song nur eine B-Side geworden wäre (lacht). Wir haben uns gewundert, was wir tun müssen, denn wir hatten Spaß, aber sobald wir den Song jemandem vorspielten, hat er ihn nicht „verstanden“. Komisch, dass du das sagst. Als ich das jetzige 'Drunken Physics' gehört habe, habe ich mir aufgeschrieben „Song gefällt mir, aber ich kapier ihn nicht“. Ich hatte Spaß beim Hören, aber als ich genau hinhörte und auf den Text achtete, war ich völlig ratlos. Wie kommt man auf so einen Song? Eigentlich ist es eine Nerd-Hymne. Ich finde es super, so einen Song zu haben. Er handelt eigentlich von unserem Soundguy. Der ist total an Physik interessiert, hat „Eine kurze Geschichte der Zeit“  und, als wir auf Tour waren, Einsteins Briefe gelesen. Wenn ich fahre, vor allem nachts, habe ich immer jemanden, der mit mir aufbleibt und mich wachhalten soll. Und meistens nehme ich dazu eben Julian [Bruso, genannt Bruce], wir fahren bis zum Morgen und er ist betrunken. Wir fahren also und ich will, dass er mir mehr über Physik und was er so gelesen hat, erzählt. Alles eben. Und die Strophen, die im Song sind, sind diese Gespräche. Aber er ist eben total besoffen, wenn er versucht, mir die Chaostheorie zu erklären oder die elf Dimensionen unserer Realität. (Lallt) „Das ist wie ne Scheibe Brot, nee, wie ein Laib Brot…und du bist eben irgendwie dazwischen. Also zwischen den Scheiben. Aber irgendwie ist es keine gerade Linie…“ Ich denke dann, ich lerne nicht wirklich etwas. Aber weißt du, was super ist, je mehr Menschen ich den Song vorgespielt [und erklärt] habe, desto mehr kommen zu mir, weil sie sich wundern „Wow zwei Dimensionen von Raum“. Auch wenn ich Metal mag und man nicht denken würde, dass ich mich für so etwas interessiere. Ich mag, dass wir einen Song haben, der zeigt, dass wir auch anders können und das auch offen zugeben. Außerdem war ich sicher, dass die Menschen zu uns kommen würden und sagen „Super, dass ihr euch für Physik begeistern könnt.“, denn ich liebe solche Sachen. Das führt mich zu einer weiteren Frage: Du hast mal gesagt, dass man euch oft als stumpfe Metal-Typen und „Kanadier“ präsentiert und dass du solche Kategorisierungen nicht magst. Passiert das immer noch? Ich mag, dass man uns als Kanadier einordnet, denn ich mag meine Heimat, aber ich wundere mich, warum es so erwähnenswert zu sein scheint. Ich will ganz klar sagen, dass ich stolz darauf bin, aus einer bestimmten Szene zu kommen und ich denke auch, dass in Kanada viele gute Sachen passieren. Ich mag also beides gleichwertig zu repräsentieren. Ich hab kein Problem, als Metalband bezeichnet zu werden, aber ich weiß nicht, ob mich das wirklich komplett beschreibt. Meinst du jetzt die klischeehaften Dinge, wie Frauen und Bier ohne Ende? Oh, das hasse ich total! Diesen Teil versuche ich wirklich aus der Kategorie auszumerzen. Ich möchte lieber die andere Seite des Klischees darstellen, bzw. das Klischee brechen. Wir hängen nie in Stripclubs rum, drei von uns trinken nicht, wir sind eigentlich recht belesen und hören auch nicht immer den ganzen Tag nur Metal. Das sind nicht unsere Ideale. Ich habe eine Freundin, der ich treu bin und die ich liebe und ich geh nicht gerne in Stripclubs, ich kaufe mir keine Prostituierten.  (lacht) Weißt  du, dass das die Leute schon fast schockiert? „Oh ich dachte ihr seid immer wütend und betrinkt euch die ganze Zeit.“ Aber nein, man könnte nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein. Wir hängen natürlich schon gerne mit Leuten ab und haben gerne Spaß, aber nicht so, wie es angenommen wird, es geht auch anders. Wem sagst du das. Ich wundere mich, dass dieser Eindruck in den Medien noch überwiegt. Musikjournalisten treffen doch so viele Künstler, die ihnen auch das Gegenteil beweisen, dass sie insgesamt nicht von Klischee ausgehen dürften. Ja, aber es gibt eben auch Bands, die das Klischee bedienen und wenn man Mötley Crüe interviewt, wäre der Eindruck wohl sehr prägend. Es gibt schließlich Musiker die genauso sind, wie man denkt. Wenn die sich den ganzen Tag betrinken wollen, klar, das ist ihre Sache, aber dann anzunehmen, dass jeder so wäre, ist etwas was ich immer ganz betont zurückweise. Es gibt so unterschiedliche Persönlichkeiten. Wir sind beinahe am Ende unserer Zeit angekommen. Was hälst du davon, wenn du mir noch jeweils ein paar Zeilen zu den einzelnen Songs auf „Dead Set On Living“ erzählst? Die folgenden Erklärungen und Anekdoten zu den einzelnen Songs gibt es dann zur Veröffentlichung und Rezension des Albums am 13.04.2012. Seid gespannt!