(Matador Records) Zehn Jahre nach der Veröffentlichung ihres Debüts „Turn On The Bright Lights“ bringen INTERPOL ihr Meisterwerk erneut heraus. Dieses Mal in vielen Versionen mit unglaublich vielen Extras und Schmankerln, die sich der Fan früher mühsam selbst zusammensuchen MUSSTE, da sie einfach unverzichtbar sind. Gerade die B-Sides oder Demos des New Yorker Quartetts sind zum Teil so außergewöhnlich schön, dass man gar nicht weiß, wohin mit all dem, was sie in einem auslösen. Es sind genau diese Songs, die wie das Album noch im ersten, unbeeindruckten Fluss purer jugendlicher Kreativität entstanden sind. „Turn On The Bright Lights“, ein Album, das mich an unendliche Autofahrten bei Nacht erinnert, lange Wartestunden an Londoner Flughäfen, mein erstes INTERPOL-Konzert mit 15 Jahren, einen perfekten Abend beim Highfield Festival und die Durchquerung des schwedischen Schärenmeers, bei der ich mich zu ‚Leif Erikson‘ wie der einzige Mensch auf Erden fühlte. Für jeden dieser Augenblicke war „Turn On The Bright Lights“ angemessen, man könnte wohl sagen, es ist ein Album für alle Lebenslagen. Die Traumreise, die außerkörperliche Erfahrung, der Urlaub, wie man es auch nennen möchte, beginnt mit dem völlig entrückten Introsong ‚Untitled‘, den man schon für ein Instrumental hält, bevor schließlich die einzigartige Stimme Paul Banks‘ die Melodie ergänzt „Surprise, sometimes will come around“. Wahrere Worte wurden wohl noch nie als Albumeinleitung gesprochen. Dann ‚Obstacle 1‘, meine erste Lieblingssingle mit einem herrlichen Musikvideo von Floria Sigismondi. Schon hier deutet sich an, dass Banks‘ Texte nicht immer komplett zu verstehen sein müssen, um zu erkennen, wie besonders sie sind. Wenn er singt „she puts the weights into my little heart“, weiß man irgendwie, was er meint. Gleich darauf wird in der vierminütigen Symphonie einer Großstadt die INTERPOL-Stadt New York personifiziert und tatsächlich: Die Musik strahlt eine Zartheit und sphärische Harmonie aus, die man der Stadt im tiefsten Inneren zutraut. Mit ‚PDA‘ (unter anderem Kurzform für „öffentliche Zurschaustellung von Zuneigung) folgt ein Song, mit dem ich mich zunächst schwergetan habe, da er mir immer ein wenig einfach begann, obwohl der Text Vielseitigkeit vermuten lässt. Ironischerweise entwickelte er sich aber mit den Jahren zu einem heißgeliebten Stück, das mich vor allem durch das schöne, lange Outro gewann. Bei ‚Say Hello To The Angels‘ lief es ähnlich, hier faszinierte mich aber von jeher das Tempo, das die Band bei Livekonzerten sogar noch etwas steigert. Es ist fast unmöglich, bei diesem Song still zu halten. Dazu kommt ein weiterer cleverer Text, in dem es um alles, aber nicht um Engel geht. Wir nähern uns mit ‚Hands Away‘ dem absoluten Höhepunkt eines himmelshohen Plateaus: Beim einzigen Song, dessen musikalischer Kern nicht von INTERPOL-Gründer Daniel Kessler, sondern von Banks stammt, prallen Welten aufeinander. Die eher eintönige, bewusst monotone, liebliche Musik, der Gesang (das Lied hat nur sieben kurze Zeilen) zärtlich wie nichts, dazu ein Text, der im richtigen Kontext brutaler kaum sein könnte, dann immer mehr ergänzende Soundeffekte. Nach einem Drittel ist der Song fast nur noch instrumental, die Musik wird immer dringlicher; die Zimbeln von Drummer Sam Forgarino werden geradezu panisch angeschlagen, dann plötzlich endet der Song genauso sanft wie er begonnen hat. Wahnsinn! ‚Obstacle 2', obwohl toll, litt schon immer darunter, dass es vor meinem damaligen und heutigen, absoluten Lieblingssong dieser Band gelandet ist: ‚Stella Was A Diver And She Was Always Down‘. Wenn es ein Lied gibt, das ich ohne Nachdenken jedem empfehlen würde, weil es so uneingeschränkt großartig wie simpel ist, dann Stella'. Der längste Song des Albums, der mit 6 Minuten 28 immer noch zu kurz ist und ewig weitergehen könnte. Wenn ich nur die Stunden zählen könnte, die die Zeile „she broke away, broke away“ metaphorisch und buchstäblich durch meinen Kopf trieb. Wenn doch jeder Musiker allein durch das Aussprechen eines Namens so viel ausdrücken könnte wie Banks, wenn er in der Mitte des Songs „STELLAAA“ singt (Marlon Brando in Endstation Sehnsucht ist echt nichts dagegen!). Wenn doch jeder Bass so eine perfekt ergänzende Linie spielen würde, wie Carlos Denglers. Die kaum noch zu verstehenden Worte des Sängers sind zum Schluss nur noch das Sahnehäubchen, aber so viel sei verraten, INTERPOL schaffen es, die seltsamsten Themen in etwas Magisches zu verwandeln. Selbiges gilt auch für das nächste Stück ‚Roland‘, das von einem bärtigen polnischen Schlachter handelt, der gerne mit Messern herumrennt. Kein Scherz, INTERPOL haben eine humoristische, ironische Ader, die stets unterschätzt wird. Musikalisch gesehen ist ‚Roland‘ wohl mit am vielseitigsten und hat ein eindrucksvolles Outro, ergo: ein Klasselied. Im ernsten Kontrast dazu folgt dann ‚The New‘, mein zweitliebster Song der Scheibe. Ein Lied, in das mehrfach wieder eingestiegen wird, mit zur Abwechslung sehr persönlichen Lyrics. Auch hier kann ich nur wiederholen, dass der Schluss (der „erste“ kommt ab der 3. Minute) zeigt, dass INTERPOL mehr sind, als die üblichen Indie- oder Alternative-Rocker oder die Summe der ihnen nachgesagten Vergleiche. Als krönendes Ende von „Turn On The Bright Lights“ kommt schließlich die atmosphärische Liebeshymne schlechthin(ohne jeden Kitsch!). Der Song beinhaltet eine der für mich besten Zeilen aller Zeiten, die ich so wundervoll finde, dass ich sie nicht einmal teilen mag! ‚Leif Erikson‘ hat ursprünglich nichts mit seinem Namensgeber oder dessen Kultur zu tun, aber auch hier: Der Titel passt einfach. Man muss INTERPOL wirklich anrechnen, dass sie sich schon auf ihrem Debüt getraut haben, merkwürdige Visionen zu verfolgen. In diesem Sinne kann ich nur, wenn auch eigentlich zehn Jahre zu spät in die Welt hinausrufen: INTERPOL sind (noch) da. Turn On The Bright Lights! Als abschließender Tipp: Die Importversion kaufen. Die Demos sind ihr Geld wirklich wert: ‚Song Seven', ‚Specialist' und ‚Gavlian (Cubed)' sind ebenso hinreißend wie die Songs auf dem Debüt (wenn nicht besser)! Album-VÖ: 03.12.2012 (Photo by Andrew Zaeh)