(Four Music / Sony) „Augen und Herzen sind Dynamit.“ Orgelklänge – dann ein magisches Pianoriff, unglaublich schön und nahezu perfekt – plötzlich Pauken, die einen Rhythmus vorgeben, der einen sofort verleitet, einen Freudentanz par excellence aufzuführen. Bläser - volle Breitseite, bombastisch und kraftvoll, opulent. Ein Chor singt. Dieser Opener ist groß! Benjamin Griffey alias CASPER schmeißt seinen unruhigen und Songnachschub-hungrigen Anhängern 'Im Ascheregen' bereits am 01. August diesen Jahres in den Fan-Käfig. Nachdem Griffey schon Wochen vorher die gierige Meute mit einem Videoteaser zur ersten Singleauskopplung aufheizte, bekommt der Fan nun das langersehnte und doch ungewohnte musikalische Futter vorgesetzt. Und alle lieben es! "Hinterland" klingt nicht wie "XOXO" und schon gar nicht wie "Hin zur Sonne". Klar, von beiden Vorgängeralben ist ein bisschen was dabei, aber was hier passiert, ist anders... Musikalisch ist "Hinterland" gereifter, erwachsener und vor allem softer geworden. Er erfindet sich neu oder hat sich neu erfinden lassen, denn CASPER hat sich Verstärkung in Form der Indiepop-Größen Konstantin Gropper (Get Well Soon) und Markus Ganter (Sizarr) geholt, deren Lieblingsinstrument die Akustikgitarre zu sein scheint. Vom HipHop haben die drei Musiker nicht mehr all zu viel übrig gelassen. Arcade Fire und Bruce Springsteen werden hier als musikalische Einflüsse genannt. Dass der gebürtige Amerikaner Benjamin den „Boss“ verehrt, wissen wir bereits. Jetzt hören wir es umso stärker. Das ganze Album klingt sowieso sehr amerikanisch, die Musikvideos zu 'Im Ascheregen' und 'Hinterland' wurden sogar in Mississippi, der heutigen Heimat seines Vaters Arlen, gedreht. Gerade 'Hinterland' wirkt wie ein klassischer, fast klischeehafter US-Roadmovie, der in Bonnie und Clyde oder Thelma und Louise- Manier genau den angestrebten „Wir können alles und alles können wir sein“- Spirit transportieren soll, den CASPER und Co. wahrscheinlich rüberbringen wollen. Editors-Frontmann Tom Smith mischt übrigens auch mit. Seine Wahnsinnsstimme ist im Song 'Lux Lisbon' zu hören. Dezent und wenig aufdringlich, perfekt dosiert. CASPER's Kooperation mit Kraftklub im Track 'Ganz schön okay' kann man machen, hätte aber nicht sein müssen. Für "Casper Bumaye"- Liebhaber empfehle ich "Jambalaya" by the way. „Und klapp!, schnappt’s der Maus ins Genick. Mitleid bekommt, wer Mitleid verdient.“ Benjamins Texte sind zwar nicht mehr ganz so intim wie auf "XOXO", wo er uns gewissermaßen einen der krassesten und gleichzeitig leider auch großartigsten Seelenstriptease präsentierte, den man in den letzten Jahren in der deutschsprachigen populären Musik miterleben konnte. Aber auch in den aktuellen Songs finden wir Zeilen, die irgendwo in unseren Gedanken fest hängen, es aber nie ans Licht schaffen, weil man sie nicht einordnen, geschweige denn in Worte fassen kann. CASPER lässt diese Gedanken frei. In jedem einzelnen Song! Man kennt exakt jede Situation und jede Emotion, die er beschreibt. Es geht um Beziehungen, um Herzschmerz, ums Erwachsenwerden, ums Hinter-sich-lassen, um Musik, die niemals endet, um Menschen, die nicht mehr bei uns sind, um Rebellion und Protest und um Parfüm. Benjamins kaputte rauchig-heisere Stimme kratzt sich irgendwo zwischen Hirn und Herz ein! Einzigartig, einmalig – ohne dabei jemals anstrengend zu werden. Das, was CASPER's Worte bei mir ausgelöst haben und immer noch auslösen, ist nicht in Worte zu fassen. Und obwohl ich gerne und oft persönlich werde, wenn ich über Musik spreche, muss ich hier tatsächlich einen Riegel vorschieben, denn seine Texte bewegen sich in meinen tiefsten, geheimsten und innersten Windungen. CASPER bringt mich zum Weinen – weil und wenn ich traurig oder wütend bin oder weil die Situation gerade perfekt unperfekt ist. CASPER schaut in die Köpfe der jungen Menschen und baut daraus die Hymnen einer ganzen Generation. Intelligente, nahezu poetische und im höchsten Maße melancholische, grüblerische Texte übers Erwachsenwerden sind das Resultat. Er zitiert Liedzeilen der deutschsprachigen Rockelite (Slime, Turbostaat, Wir sind Helden, Die Sterne) und zeigt damit einmal mehr, was er für ein außerordentliches Gespür er für bedeutsame Gedanken, Sätze und Wortfetzen hat. Die taz formulierte sein Erfolgsgeheimnis so: "Negative Gedanken wandeln sich durch energiegeladene Musik zu positiv kanalisierten Gefühlen." Das passt. Sehr gut sogar. "Hinterland" ist anders! Aber dieses „anders“ ist gut – morgen höre ich weiter CASPER und entdecke, so hoffe ich, noch viel mehr in diesem Hinterland... Anspieltipps: 'Im Ascheregen', 'Hinterland', 'Alles endet (aber nie die Musik)' Album-VÖ: 27.09.2013 (Photo courtesy of Four Music)