(Infectious Music/ Pias Cooperative)
ALT-J veröffentlichen mit
"This Is All Yours" das ersehnte Folgealbum zu ihrem umjubelten Debüt
"An Awesome Wave".
Was ist neu? Was ist anders? Wie innovativ klingen? Alles so große Fragezeichen, mit denen sich wohl auch die drei Jungs aus
Leeds rumgeschlagen haben.
Ein Mitglied hat seitdem die Band verlassen. Eine Veränderung und gute Vorrausetzungen, um Neues zu erreichen.
Als Schauplatz diente die japanische Stadt
Nara, in der noch keiner der drei Briten je war. Als Inspirationsquellen dienten die Newsplattform
Reddit und diverse Filme sowie Filmzitate, wie beispielsweise aus '
Blau ist eine warme Farbe', den Sänger
Joe Newman jedoch nie selbst gesehen hat. Auch die anscheinend bewusste chronologische Anordnung der Songs
'Intro',
'Arrival in Nara',
'Leaving Nara' soll nur willkürlich gesetzt worden sein.
Bei soviel Mühelosigkeit stellt sich doch schnell die Frage nach dem Wieso? Haben sich
ALT-J nicht noch bei ihrem Debüt soviel Energie reingesteckt dem Konzeptalbum eine fortlaufende Geschichte einzuflößen. Doch scheint diese bewusste Wahl des Unkonkreten genau der Ausweg aus den Erwartungen zu sein. Ihre eigene avantgardistische Art Vorherrschendes und den Druck links liegen zu lassen.
Auch das Artwork des Covers ist spiegelbildlich für das ganze Album. Nichts wird in Formen gepresst, sondern es wird einfach groß über den Rand der Erwartungen gemalt und zwar so groß, das alle Vorgaben und Zwänge gekonnt mit Farbe ertränkt werden.
Ähnlich wie die explodierende Farbvielfalt werden auf
"This Is All Yours" keine musikalischen Grenzen gesetzt. Das Album wirkt gegenstandslos abstrakt und auf der anderen Seite skizzieren
ALT-J ganz präzise Soundkulissen, bedienen sich Naturgeräuschen, Vogelgezwitscher und Flöten.

Konträr zur grobflächigen Farbenpracht ist der musikalische Inhalt. Verwoben, filigran und bis ins kleinste Detail an Perfektion strotzend. Dazu verschmelzen Texte, die ihren Bezug all zu häufig zum Sinn und Zusammenhang verlieren. Wie in
'Every Other Freckle', eines der absoluten Herzstücke des Albums, welches drastisch und rau ist und in dem
Newman mit ungewohnt tiefer Stimme über Katzenmetaphern singt.
Gefolgt von dem Song
'Left Hand Free', der Elemente des Blues mit der typischen Dramatik
ALT-J’s vereint und irgendwo zwischen Leichtigkeit und Schwere balanciert.
'Hunger Of The Pine' beginnt elektronisch fragil und baut sich zu einer erschütternden Stärke, dank Saxofone und Chor, auf. Überraschungsmoment ist der Sample von
Miley Cyrus Vocal-Line
‚I’m a Female Rebelle’.
Mit
'Bloodflood pt.II' wird der Kreis zum Vorgänger geschlossen.
Weiterer Bezugspunkt zum Debüt ist Produzent
Charlie Andrew, der auch diesmal seine Finger mit im Spiel hatte und in dessen
Londoner Studio die Aufnahmen stattfanden. Betrachtet man das großartige musikalische Ergebnis, scheint es, als seien
ALT-J erfolgreich gegen den Druck angegangen.
Ihre Innovation ist es, von dem streng erdachten und perfekt harmonisch ausgeformten Konzept des Debüts Reissaus zu nehmen. Keine Erwartungen schüren, um selbst keinen Erwartungen standhalten zu müssen.
ALT-J ziehen sich ganz einfach durch das Hintertürchen aus der Affäre, ohne Vorgaben, um schlussendlich den Rezipienten entscheiden zu lassen.
Und dann erstreckt sich aus der vorgegaukelten Mühelosigkeit doch noch ein Riesenberg Kalkül. In dem Wissen um ihre musikalische Genialität wird ihre Strategie aufgehen.
Nicht umsonst heißt das Album
"This Is All Yours".
Album-VÖ: 19.09.2014
(Photo by Gabriel Green)