(Spinefarm Records / Caroline) Punkrock war schon immer eine Protesthaltung und die Antithese der jeweiligen Zeit und gesellschaftlichen Formen. Im Laufe der Jahrzehnte ist der Entwurf des Punk-Daseins ziemlich verwässert und der Kommerz hielt Einzug. ANTI-FLAG haben den Spagat zwischen niedrigschwelligem kommerziellem Erfolg und authentischer Glaubwürdigkeit auch über all die Jahre (mittlerweile auch schon im 22. Jahr) gut hinbekommen und überzeugen durch ihre politischen, systemkritischen Texte in Verbindung mit melodischem Punkrock und zupackenden Sing-a-longs. Das war nicht immer überzeugend und manchmal arg langweilig, aber wer Alben wie "Die For Your Goverment", "The Terror State" oder "Underground Network" geschrieben hat, ist über jeden Zweifel erhaben. Nun also "American Spring", das nunmehr 9. Studioalbum. Wie es zum guten Ton im Business gehört, wurde mal wieder das Label gewechselt, diesmal darf sich Spinefarm Records über die Erweiterung ihres Portfolios freuen, da die finnische Plattenfirma eher dem Metal zugetan ist (Children Of Bodom oder DragonForce z.B.) - mutige Entscheidung von ANTI-FLAG, aber da Spinefarm ein Tochterunternehmen von Universal Records ist, ist der weltweite Vertrieb gesichert. Zurück zu alten Stärken könnte man meinen. Die Wut ist greifbar, die Verzweiflung ob der Untätigkeit großer Nationen zu spüren. Aber der Wille aufzurütteln, niemals aufzugeben und inspirierend für den inneren und äußeren Widerstand zu sein, war und ist noch immer der Hauptbestandteil des Daseins von ANTI-FLAG. Dass es textlich nichts zu mäkeln gibt, war von vornherein klar, da ANTI-FLAG in diesem Bereich über jeden Zweifel erhaben sind - so wird sich meine Rezension auf die musikalische Ausrichtung konzentrieren. Mit 'Fabled World' gibt es einen lupenreinen Einstiegsknaller, der gut nach vorne drückt und sich mit melodiösen Uptempo einem feinen Refrain nähert, der alte und neue Fans gleichermaßen mitzureissen weiß und noch dazu ein überzeugendes Gitarrensolo gegen Ende parat hält. Die Backgroundchöre sind ebenfalls an den richtigen Stellen eingesetzt, so dass einem gepflegten Mitgröhlfaktor Tribut gezollt wurde. Chapeau - schönes Ding! 'The Great Divide' erinnert mit seiner Nähe zum Punkrock mit Hardcore-Kante an die famosen Strike Anywhere und überrascht trotz zurückgenommener Härte mit dem richtigen Tick Eingängigkeit. Das erste Mal seit einer knappen Dekade, dass ich einen Song von ANTI-FLAG sofort mag und als Hit einstufen würde. Auf dem nachfolgenden 'Brandenburg Gate' hört man recht fix den Einfluss des prominenten Gastmusikers heraus - durch die Mithilfe von Tim Armstrong (seines Zeichens Frontmann von Rancid) gibt es den nächsten tanzbaren Politsong, der sich mit einem typischen Rancid-Beat in deine Gehirnwindung fräst und die Beine unkontrolliert zucken lässt. Der Einfluss von den Mannen aus Pittsburgh kommt natürlich nicht zu kurz, so dass diese Zusammenarbeit ein fruchtbares Ergebnis parat hält. 'Sky Is Falling' ist der vierte Track des 14 Songs umfassenden "American Spring" und wegen seiner Thematik (Auswirkungen von Drohnenangriffen) ein schwerer Brocken, was man auch dem Gesangsstil anhört. Ein dicker Hals, die geballte Faust in der Tasche - trotzdem sehr catchy im Abgang umgesetzt. Es bleibt nur zu wünschen, dass sich die Jugend von heute auch eingehend mit den Texten dieser wichtigen Band befasst und sich nicht nur besoffen im Circle-Pit vergnügt. 'Song For Your Enemy' ist so ein Beispiel, wo Eingängigkeit vordergründig über der Message steht, aber vermutlich unterbewusst ins Kleinhirn eindringt, um das Bewusstsein zu schärfen, um gesellschaftliche Probleme mittelfristig zu hinterfragen. anti-flag-bandEs bleibt festzuhalten, dass die erste Hälfte (sozusagen die A-Seite) mit dem Überalbum "The Terror State" locker mithalten kann und dank der Frische und Aggressivität sogar besser klingt und mehr Spass macht, was auch 'Set Yourself On Fire' nochmals beweist. 'All Of The Poison, All Of The Pain' unterbricht brüsk den Fluss des Albums, weil hier uneindeutig ist, wohin ANTI-FLAG mit dem Song hinsteuern wollen....ist einer dieser schon typisch zu nennenden ANTI-FLAG-Lückenfüller, die vermutlich textlich überzeugen, aber die Aufmerksamkeitsspanne durch die Unausgewogenheit des musikalischen Überbaus verkürzen. Überraschenderweise bleibt dies aber der einzige (!!) Song, der nicht auf ganzer Linie begeistert - ob nun 'Break Something', 'Low Expectations' oder 'Without End' - diese einzigartige ANTI-FLAG-Dringlichkeit ist allen Kompositionen inne (halt mit einer Ausnahme). Überzeugend, wichtig, hitverdächtig! Hätte niemals geglaubt, dass mich ANTI-FLAG nochmal so flashen würden (wie der HipHopper sagen würde). Richtig gutes Album, welches von mir wohlverdiente 5 Blitze abstaubt. Album-VÖ: 22.05.2015 (Photo courtesy of Spinefarm Records / Caroline)