(300 Entertainment) Bands verändern sich im Laufe ihrer Karriere, dies scheint zumindest eine ungeschriebene Regel zu sein. Dabei wechselt häufig die Besetzung, der zuvor prägende Stil oder das Label wird getauscht. Was nun jedoch COHEED AND CAMBRIA mit ihrem neuesten und nunmehr achten Kleinod "The Color Before The Sun" verändern, sprengt die Norm... sie wechseln quasi Welten, Galaxien. Herr über diese Welten scheint Frontmann und Mastermind Claudio Sanchez zu sein, der mit seinen Mannen hier nun zum ersten Mal aus dem Konzept der vorigen sieben Alben rund um die Amory Wars-Saga aussteigt und ein persönliches Album über den sich im ständigen Wechsel befindenden Alltag im Hause Sanchez schrieb. Aus der musikalischen Taufe gehoben wurden die zehn Tracks mit Hilfe des Grammy-nominierten Produzenten Jay Joyce in den Neon Cross Studios in Nashville, wo das ganze Werk live eingespielt wurde, um durch mögliche Schnitzer einen natürlichen Charme zu erzeugen. Ob dieser in irdischen Sphären verweilt oder sich dem widersetzend in Prog-Rock-Galaxien verteilt, gilt es nun, auf den Grund zu gehen. Den Reigen eröffnen leise Bahnhofsgeräusche, welche allmählich hörbarer werden und auf einmal durch eine simple Melodie der Leadgitarre durchbrochen werden. 'Island' ist am Gleis angekommen und wird so manchem Hörer ein breites Grinsen ins Gesicht zaubern, andere langjährige COHEED AND CAMBRIA-Fans vielleicht auch verwirrt zurücklassen. Hier wird gerockt, und zwar so poppig wie nur möglich. Das trifft auch absolut auf Sanchez' Gesang zu. Allerdings geht einem das Endprodukt so schnell nicht mehr aus dem Kopf, also war es bei mir das Grinsen, das auch nach dem x-ten Mal Hören wieder erscheint. Einfach ein toller Sound, der auch losgelöst klingt, als wäre es nötig gewesen, sich mal alles von Konzeptalben ab von der Seele zu schreiben. Allerdings können die Jungs dann doch nicht anders, als diesen absolut harmonischen Song in einem konfus-proggigen Outro auszufaden. Das folgende 'Eraser' ist wieder etwas verhaltener und benötigt mehr Anläufe als der Vorgänger, wartet aber mit einem schönen Refrain auf. Leicht melancholisch und verträumt kommt 'Colors' daher, bevor 'Here To Mars' den wolkenverhangenden Himmel wieder aufreißt und schnell kopfnickend mitgesungen werden darf. Diese Liebesbotschaft an Sanchez' Frau wirkt sehr leidenschaftlich, fast schon kitschig. Qualitative Minderung? Auf keinen Fall. 'Ghost' ist ein akustisches Interlude, in dem der Frontmann seine Zweifel verarbeitet, was für eine Art Vater er für seinen Sohn sein wird. Den Namen des Filius erfahren wir dann durch den gleichnamigen und folgenden Track 'Atlas'. Für mich ein bemerkenswerter Höhepunkt des Albums, da die Ode an seinen Sohn angenehm melodisch hereingetragen wird und dann immer mehr Power entwickelt. Da wird sich der Sohnemann noch lange dran erfreuen können! 'Young Love' hingegen ist in seinem crunchigen Neunzigergewand eher ein bisschen kraftlos, dennoch hörenswert. COHEEDANDCAMBRIA_BW Horizontal_approvedDann doch lieber noch eine Dekade zurück in poppigen achtziger Rock, denn 'You Got Spirit, Kid' betritt mit vielen Uhs, Ohs und Yeahs die Bühne. Traumhaft. Ein größer und gewaltiger klingenderer Soundteppich wird dann bei 'The Audience' ausgerollt, hätte auch bei jüngeren Vorgängeralben vertreten sein können. Den zuckersüßen Abschluss erleben wir dann durch das akustische 'Peace To The Mountain', dass in Chören, Bläsern und Streichern ein Ende findet. So tut dies auch "The Color Before The Sun", das erste Album, dass nicht in das Amory-Wars-Konzept eingewoben wurde. Jedoch trägt es ein Konzept in sich. Und zwar das Leben von Claudio Sanchez, samt Frau, Sohn, Umzug in ein neues Heim und damit verbundene Gedanken, Ängste und Freuden. Musikalisch äußert sich das auch in vielen Stimmungslagen. "The Color Before The Sun" ist sicher das poppigste Album bisher und ich werde noch lange Spaß damit haben. Als langjähriger Fan war ich äußerst gespannt und wurde nicht enttäuscht. Das wird vielen anderen wohl auch anders gehen, denn vieles klingt anders... und trotzdem eindeutig nach COHEED AND CAMBRIA. Ein mutiges Album, doch der Mut hat sich gelohnt. Wie der Sound in Zukunft klingen wird, ist wohl komplett offen. Nur eines ist sicher: es wird in den Händen von Claudio Sanchez liegen. Album-VÖ: 16.10.2015 (Photo courtesy of 300 Entertainment)