(Warner Music International)
Neues aus dem Hause BILLY TALENT. Knapp 45 Monate nach der leicht kreativen Umorientierung in Form des Albums "Dead Silence", wollen die Kanadier an ihre Erfolge der ersten Dekade der 2000er Jahre anknüpfen und schicken "Afraid Of Heights" ins Rennen.
Bevor das musikalische Wirken besprochen wird, kurz eine Personalie, die nicht gänzlich uninteressant ist (aber im Endeffekt keine Auswirkung auf die Mucke hat): Da Schlagzeuger Aaron Solowoniuk bekanntermaßen mit seiner Muliple Sklerose-Krankheit zu kämpfen hat, ist für die Aufnahme (und womöglich auch für die kommende Tour) der befreundete Drummer Jordan Hastings eingesprungen - sonst bei Alexisonfire tätig.
"Afraid Of Heights" schenkt der weiterhin großen Fangemeinde 12 neue Tracks (die Deluxe Edition ist zu vernachlässigen, da sie "nur" Demoversionen vorliegender Songs bietet), die die Attitüde der Vergangenheit (ein gewisser Punk-Spirit) mit den songwriterischen Feinheiten verbinden soll, die sich BILLY TALENT in den fast 15 Jahren Bandbestehen draufgeschafft haben.
'Big Red Gun' eröffnet den bunten Reigen standesgemäß mit einem dynamischen Riff, welches sofort als BILLY TALENT erkennbar ist. Da sie mittlerweile eine eigene Referenz im Business darstellen (wobei sich gar nicht soviele Bands an BILLY TALENT orientieren), ist der Sound meist festgelegt. Spätestens wenn Sänger Benjamin Kowalewicz einsetzt, sind sämtliche Unklarheiten beseitigt. Dieses klar definierte, leicht quäkende Timbre ist einmalig im alternativen Rock-Kosmos und ein perfektes Alleinstellungsmerkmal. Bei 'Big Red Gun' sitzt die Hook und der Chorus wird mit tollen Background-Gesang verstärkt. So stelle ich mir einen typischen BILLY TALENT-Song vor. Das ist die Blaupause die funktioniert, die von Fans gefordert wird und auf Konserve genauso abgeht wie auf der Mainstage der großen Festivals.
Der Titelsong nimmt sich etwas zurück und überzeugt mit einem melancholischen Unterton, der Emotionen anspricht. Frontmann Ben singt die Strophen auch mehr als dass er sie stakkato-mäßig rauspresst - so entsteht zwar ein relativ unspektakulärer Rocksong, der aber aufgrund seiner einfachen (und durchdachten) Struktur hängenbleibt und lohnt, ein weiteres Mal angehört zu werden, bevor man sich den Rest des Albums gibt.
'The Crutch' wiederum hat einen nervigen Funk-Metal-Rythmus, der mich persönlich immens abschreckt und zum Weiterskippen verleitet, v.a. da ich auch nach mehrfachem Versuch keinen Zugang gefunden habe, der es für mich erträglicher macht.
Danach kommt mit 'Louder Than The DJ' der Partysong des Albums, der auch textlich keinerlei Anspruch für sich einfordert und einfach nur Spaß machen soll. Das tut er, auch wenn die Halbwertzeit des Tracks vermutlich in Stunden gerechnet werden kann. Da es hiervon schon ein Lyric-Video gibt, verlinke ich das gute Stück mal - aber Obacht: ist nicht repräsentativ für "Afraid Of Heights" 🙂
Die leicht aggressiv-wütende Kante kommt bei 'Ghost Ship Of Cannibal Rats' (geiler Titel btw.) zum Zuge, welches auch auf den ersten beiden Alben hätte vertreten sein können. Der Schwung wird mit dem 6-minütigen 'Rabbit Down The Hole' etwas ausgebremst, da hier der Spannungsaufbau jede gespielte Note für sich beansprucht. Wenn man aber in den Song hineingefunden hat, gibt es keinen Ausweg mehr. Die grungigen Gitarren, das wuchtige Drumspiel und die eindringliche Vehemenz des Vortrags, lässt die Komposition zu etwas Ungestümen heranwachsen, welches beeindruckend ist.
'Time Bomb Ticking Away' sind wieder die Old-School BILLY TALENT, die mit einem gradlinigen PunkRocker zeigen, dass sie ihre Vergangenheit keinesfalls vergessen haben. Mit 'Leave Them All Behind' wird diese Schiene weitergefahren - etwas Tempo rausgenommen, den Alternative Rock-Anteil hochgeschraubt und einen Song geschrieben, der frappierend an die mainstreamigen Rise Against erinnert.
Etwas cheesy und eindeutig als Füllmaterial von mir deklariert, kommt 'Horses & Chariots' daher, da gibt es nicht eine Note für einen Ansatzpunkt, den ich dafür benutzen könnte, was Positives herauszufiltern - höchstens die Endnote, da danach der Track vorbei ist.
Gegenteilig verhält es sich mit 'This Is Our War', den ich nach den ersten Hördurchläufen ebenfalls abgeschrieben habe, dieser sich im Laufe der Zeit aber immer mehr in meinem Gehörgang einnistete und mittlerweile eines der Lieblinge von "Afraid Of Heights" geworden ist. Das BILLY TALENT-Händchen für catchy Refrains wird hier mit einer unglaublichen Dynamik verbunden, welche innerhalb des Songs soviel passieren lässt. Die Gesangsleistung von Herrn Kowalewicz muss hier extra gelobt werden, ebenso wie die Schlagzeugarbeit fasziniert. Stark!
BILLY TALENT Afraid Of Heights - press photos Toronto - May 16, 2016 Dustin Rabin Photography - #2724
Für 'February Winds' gelten die gleichen Attribute wie für den oben beschriebenen Titelsong 'Afraid Of Heights' - relativ unprätentiös, dafür aber diese Melodien, die sich festsaugen und nach einer Wiederholung verlangen. Den Rausschmeisser 'Afraid Of Heights (Reprise)' hätte man sich besser schenken sollen, da der Song zwar einen anderen Ansatz hat, aber dadurch nicht unbedingt besser wird. Wieder ein egaler Song, der den Gesamteindruck etwas schmälert, aber nur minimal.
Denn, wenn man ehrlich ist, wer hat erwartet, dass es BILLY TALENT nochmal schaffen würden, Spannungsmomente aufzubauen, die mit der richtigen Dosis Melodie, Aggressivität und Posivität einhergehen und ein Album veröffentlichen, welches nicht nur die Erfolge von damals verwaltet?
Eben niemand. Deshalb ist die Überraschung umso größer, dass es BILLY TALENT gelungen ist, ein überdurchschnittliches Album zu produzieren, welches die Schnittstelle zwischen alten Heldentaten und neuen Kreativmomenten perfekt einfängt.
Album-VÖ: 29.07.2016