(This Charming Man Records/ Cargo Records)


"Welcome to the 90ies, where screamo-music still lives". Handgemachte Musik erlebte in den letzten zwanzig Jahren unzählige Makeover, welche sich in Form von wilden Soundkombinationen und den damit verbundenen Genremix-Versuchen ausdrückten. Manche waren gut, manche eher in die Kategorie "Kunst" einzuordnen. Dieser Ausbruch aus konventionellen Grenzen ist auch in der Musik für einen steten Fortschritt notwendig, doch braucht es widerum auch Bands, welche die Klänge bestehender Genres aufgreift, um diese weiter zu tragen und am Leben zu erhalten. Dies ist der Fall beim vorliegenden Album "Be Water", durch die THE TIDAL SLEEP das Screamo-Genre am Leben erhalten versuchen. Ob dies gelingen kann, lässt ein genauerer Blick auf das nunmehr vierte Studiowerk erahnen.


Wir beginnen mit einem Moment der Ruhe. Akustische Klänge kündigen die Welle an, welche nach wenigen Sekunden mit 'Bandages' über uns hereinbricht. Das zunächst ruhige Boot kentert und nun heißt es nur noch: "Be Water"! Eine Wand aus Drumwirbeln, dichtem Gitarrensound und Vocalist Nick, der sich all sein Leid aus dem Leib zu schreien scheint und anzeigt, wohin die Reise gehen soll. Trotz einer gewissen Brachialität schaffen es THE TIDAL SLEEP dabei dennoch melodisch zu bleiben.

'Spills' wird sogar noch treibender und nimmt noch mehr Fahrt auf. Dabei kommt es zwischendurch immer mal wieder zu ruhigeren Parts und Clean-Vocals. Eine weitere sehr wichtige Komponente für den Sound der Band besteht in einem prägnanten Bass, was recht deutlich im eingängigen Refrain von 'Words' deutlich wird, kurz bevor ein sphärisch-melancholisches Outro die Gemüter wieder abkühlt.

Der Exot der Platte kommt mit 'Sogas', da einem hier Passagen spanischer (wie ich denke) Klagelieder entgegengeschrien werden. 'Hearses' und 'Undertows' setzen auf mächtige Chorusteile zum treiben lassen, bevor 'Poisons' wieder mehr nach vorne schießt. Etwas düsterer und schleppender ist 'Collapses', bei dem man zu hören scheint, dass Sänger Nick verloren in einem leeren Raum steht und hallend vorhandenen Schmerz in Form zerreißender Verbalisierung ablegt. Mit gemindertem Pathos erscheint 'Changes', bevor 'Wreckages' wie ein Marsch erklingt, der das Ende von "Be Water" einleitet. Somit nimmt sich als Abschluss das fünfminütige 'Footsteps' Zeit für ein letztes Weben eines dichten melancholischen Soundgeflechts samt Spoken-Words-Teilen und weiblichen Gesangparts. Ein toller Song, der ein sehr schönes Hörerlebnis abrundet.

The_Tidal_Sleep_Photo_by_Taichi_Nishimaki

The Tidal Sleep Photo by Taichi Nishimaki

Zunächst dachte ich, THE TIDAL SLEEP könnten dem starken Vorgänger "Vorstellungskraft" nicht mehr gerecht werden, doch ist es hier etwas komplizierter. Vielleicht fehlen hier die eindeutigen Hits, die auch während eines beiläufigen Hörens sofort hängen bleiben. Jedoch wirkt "Be Water" als Gesamtwerk erst richtig bei bewusstem Hören, am Besten in Ruhe samt Kopfhörern. Wer sich also Zeit nehmen möchte, sich näher mit THE TIDAL SLEEP zu beschäftigen, wird definitiv nicht enttäuscht werden und feststellen: "Screamo is alive!"

Album-VÖ: 26.05.2017