(Century Media Records/Sony Music)
So lange haben HEAVEN SHALL BURN ihre Fans noch nie warten lassen. Satte dreineinhalb Jahre ist es her, dass "Wanderer" veröffentlicht wurde. Zum zwangzigjährigen Jubiläum kann man aber natürlich nicht einfach ein normales Album auf den Markt werfen und so handelt es sich bei "Of Truth And Sacrifice" um ein dickes Doppelalbum bestehend aus 19 Liedern mit einer Gesamtlänge von gut 97 Minuten. Da dürfte sich die etwas längere Pause sicherlich für jeden Fan gelohnt haben, oder?
'March of Retribution' ist nur das kurze Intro für 'Thoughts and Prayers', bei dem dann auch gleich ordentlich losgeknüppelt wird. Hört sich einfach komplett typisch nach HEAVEN SHALL BURN an und hätte so locker auch vor 10 Jahren auf einem Album zu finden sein können. Ein bisschen hört man noch die Metalcore-Elemente raus, aber im Endeffekt sind die Jungs ja musikalisch schon seit längerer Zeit viel mehr im Melodic Death Metal angesiedelt. Bei 'Eradicate' gibt es dann auch erstmal ein kleines Gitarrensolo und insgesamt ist das Gitarrenspiel recht auffällig. ES hat schon fast etwas von Power Metal und macht auf jeden Fall viel Spaß. 'Protector' funktioniert großteils nach derselben Formel, kommt aber noch eine Ecke melodischer daher. So bleibt es deutlich besser im Kopf hängen und unterhält richtig gut. Bei 'Übermacht' gibt es die erste Überraschung, denn es existiert zu Beginn einen sehr starker Industrialeinschlag. Der verfliegt dann leider ganz schnell, dafür gefallen mir die deutschen Lyrics hier sehr gut und alles ist wirklich sehr druckvoll produziert, was hier viel hilft. Von 'My Heart And The Ocean' bleibt etwas zu wenig hängen, für mich wirkt es wie typisches Melodic Death Füllmaterial, welches mir Instrumental auch deutlich zu einfach geschrieben ist. Vielleicht brauchte man auch nur einen Soundtrack für das Sea Sheperd Werbevideo?
Experimenteller wird es da schon beim fast neunminütigen 'Expatriate', welches elektronisch anfängt und in dem dann irgendwann ein ganzes Orchester dazu einsetzt. Das kommt richtig toll rüber und der Gesang in der ersten Hälfte wird dadurch sehr gut in Szene gesetzt. Erst nach gut fünf Minuten setzt dann auch der Rest der Band ein. Im letzten Drittel geschieht dann der Wechsel zur deutschen Sprache und damit zu einem Gänsehaut Finale. Schön das man hier seine Komfortzone verlässt und ein richtig, richtig, geiles Stück Musik abliefert. Zurück ins gewohnte Muster geht es dann mit 'What War Means', d.h. Blastbeats am laufenden Meter und dazu rohe Growls. Wobei es doch eine ganze Ecke thrashiger daherkommt als gewohnt. Bei 'Terminate The Unconcern' bleibt mir dann leider durchgehend zu wenig hängen und mit 'The Ashes Of My Enemies' endet dann auch schon CD 1. Hierbei handelt es sich auch nur um ein kurzes Stück vom Orchester, also quasi nicht mehr als ein Outro.
Die zweite CD geht dann mit 'Children Of A Lesser God' los. Es läuft eigentlich komplett klassisch ab, wird hinten aber irgendwo langsamer und damit künstlich auf sechseinhalb Minuten aufgeblasen. Hätte man in der Form dann eher auf einem Amon Amarth Album erwartet. 'La Resistance' driftet dann in den Corebereich ab, denn man bedient sich vieler elektronischer Hilfsmittel. Wo Bands wie Crossfaith dabei aber sehr modern erscheinen, erinnert es bei HEAVEN SHALL BURN eher an die guten alten 90er Jahre und die Loveparade. Irgendwie wirkt das Gesamtkonstrukt hier nicht ganz so schlüssig, wie ich es erhofft hatte. Aber immerhin wagt man sich wieder etwas.
Mit achteinhalb Minuten ist 'The Sorrows Of Victory' wieder sehr lang geraten und anstatt Marcus Bischoff erklingt hier auch erstmal die Stimme von Chris Harms. Der Sänger von Lord of the Lost gibt dem Ganzen einen kleinen Gothictouch. Hier knallen aber auch so alle möglichen Genres aufeinander und auch ein langes Gitarrensolo ist mit dabei. Mir ist das Ganze deutlich zu überladen, aber ich kann es auch verstehen, wenn man den wilden Mix über die exorbitante Länge abfeiert. 'Stateless' ist da das genaue Gegenteil, recht kurz, recht schnell aber auch recht überraschungsarm. Da bleibt leider einfach gar nichts von bei mir hängen. Aber live könnte es sicherlich ziemlich gut einen Moshpit anfeuern. 'Tirpitz' ist nach dem deutschen Schlachtschiff aus dem Zweiten Weltkrieg benannt und knallt gut rein. Aber nach deutlich über einer Stunde des Albums ist man hier schon zu ausgelaugt, um dem Lied noch irgendwie mehr entnehmen zu können.
'Truther' geht knackige zweieinhalb Minuten und knüppelt uns dabei Deathcore in Reinkultur in die Gehörgänge. Hardcoreelemente vernimmt man dagegen bei 'Critical Mass', so kommt hier zum nahenden Abschluss des Albums noch einmal viel Abwechslung ins Spiel. Als Hardcorefan gefällt mir der Eintrag hier außerordentlich gut! 'Eagle Among Vultures' so nennt sich das vorletzte Lied auf "Of Truth and Sacrifice" und da es mir zu wenig Material zum drüber reden anbietet, stürzen wir uns lieber direkt auf 'Weakness Leaving My Heart'. Das Orchester kommt anscheinend wieder zum Zug und so startet alles mit gefühlvollen Pianoklängen, bevor nach über vier Minuten der Song mit dem Gesang erst so richtig startet. Er bleibt aber auch dann gefühlvoll und setzt so ein befriedigendes Ende.
"Of Truth and Sacrifice" ist ein Werk welches die volle Aufmerksamkeit von seinen Hörern fordert. Und das nicht nur, weil HEAVEN SHALL BURN natürlich am laufenden Band mit politischen Botschaften bombardieren, sondern auch weil sie des öfteren wild durch Genres springen. Aber 19 Lieder und knapp 100 Minuten Laufzeit sind mir dann doch eine Ecke zu überladen. Vor allem da sich zu viel Standardware auf den beiden CDs tummelt, die nicht aus der Masse herausstechen kann. Auch gelingt den Jungs nicht jeder Genrespagat so gut, wie ich es erhofft habe. Trotzdem ist die Platte natürlich saustark produziert und ein paar echte Gänsehaut-Titel sind ja auch dabei. Aber irgendwie wäre hier weniger mehr gewesen. Die Masse wird das Teil aber ja eh abfeiern wie nichts anderes, daher ist alles gut und Käufer des Mediabooks und Box Sets freuen sich dann noch auf den 80 minütigen Dokufilm auf der beiligenden Bonus DVD.
Anspieltipps: 'Eradicate', 'Expatriate'
Album-VÖ: 20.03.2020