(Republic/ Universal Music)

30 Jahre PEARL JAM, das elfte Studioalbum "Gigaton" - eine Tour die zwar ausverkauft ist (wie immer), aber aufgrund der pandemischen Weltlage auf der Kippe steht. 2020 ist ein (negativ) aufregendes Jahr und wird in die Geschichtsbücher eingehen. Ob PEARL JAM mit "Gigaton" weiterhin musikalische Relevanz haben oder im Prinzip nur ihren (ohne Zweifel grandiosen) Backkatalog verwalten, schauen wir uns in Ruhe an (auch wenn wir erst zum Veröffentlichungstermin bemustert wurden - die Praxis mag verstehen wer will!)

Die ersten beiden Songs 'Who Ever Said' und 'Superblood Wolfmoon' versprechen eine Menge und überzeugen mit diesem typischen PEARL JAM-Vibe. Eddie Vedder wirft sich voll rein und zeigt seine gesamte gesangliche Range. 'Who Ever Said' klingt dreckig und wie innerhalb einer Stunde in der Garage aufgenommen. 'Superblood...' ist ebenfalls angenehm rockig und zitiert mal wieder den alten Neil Young. Im Anschluss folgt das diskussionswürdige 'Dance Of The Clairvoyants', welches als Appetizer rausgehauen wurde und für Reaktionen zwischen Begeisterung und Entsetzen gesorgt hat. Zu Gute halten muss man PEARL JAM, dass sie neue Elemente in ihrer Musik zulassen wollen. Dieser 80er-Jahre Wave mit synthestischen Flächen muss wachsen, um als PJ-Vehikel akzeptiert zu werden - nach mehrfachen Hören hat der Song an Stärke gewonnen, v.a. weil er an tolle Talk Talk-Zeiten erinnert. Experiment gelungen, Band lebt noch.

'Quick Escape' ist ein erdiger Stampfer, der in der Diskographie der Seattle-Band eher im Mittelfeld anzusiedeln ist, während das ruhige 'Alright' mit seinen pluckernden Hintergrund-Rhythmen sehr einschläfernd ist. 'Seven O'Clock' hat vom Gesangsstil und der langsamen Dynamik etwas von Bruce Springsteen - gefällt ganz gut, sehr entspannte Nummer. Kontrastprogramm wird dann mit 'Never Destination' angeboten, der sicherlich seinen Platz im Live-Repertoire finden wird, da er zum Tanzen einlädt und der enthusiastischen Gitarrenarbeit echt Spass macht.

PEARL JAM lassen sich nicht lumpen und haben mit 'Take The Long Way' einen weiteren veritablen Hit am Start, der auch gut auf "Vitalogy" gepasst hätte. Einen typischen  Eddie Vedder-Soundtrack-Solo-Song gibt es ebenfalls mit 'Buckle Up' zu hören, der aber so belangslos und fast schon ärgerlich ist, dass man diesen immer skippen sollte. Dann probieren sie sich an countryesken Songmaterial namens 'Comes Then Goes', was als Unplugged-Zugabe bestimmt funktioniert, so aber den Fluss des Albums etwas ausbremst. Kein schlechtes Lied, aber unklug positioniert. Vor allem da es mit 'Retrograd' nicht besonders schwungvoll weitergeht. Man könnte diesen Track als charakteristischen Füller benennen, der niemanden weh tut und in manchen Situationen sogar überzeugen kann (beim Lesen oder Kuscheln).

Ein wenig wundert mich die Struktur des Albums, weil 'River Cross' ebenfalls ruhig angelegt ist und "Gigaton" damit zweigeteilt macht. Die erste Hälfte ist kreativ und rockend, während die "B-Seite" ihr Heil in Kompositionen sucht, die teils langatmig und ohne Überraschung präsentiert werden.

Wäre die Aufteilung der Songs anders gewichtet, könnte "Gigaton" durchaus im oberen Drittel der an Klassikern nicht armen Diskographie von PEARL JAM stehen. So muss man sich stellenweise zwingen durchzuhalten, um Facetten zu entdecken, die einem das Musikerlebnis PJ auf Dauer nicht madig macht. Wohlwollende 4 Blitze, weil ich mich als Fan bezeichne.

Album-VÖ: 27.03.2020