(Vertigo/Warner)
Ganze vier Jahre ist es bereits her, dass das letzte Studioalbum von IN EXTREMO auf den Markt gekommen ist. Das ist die bisher längste Pause zwischen zwei Alben in der bereits 25 Jahre langen Bandgeschichte. Doch nach kurzer Verschiebung ist nun endlich mit "Kompass zur Sonne" das bereits 13. Studioalbum der Jungs erschienen. Wird die Band damit ihrem Status als Sperrspitze des Mittelalterrocks gerecht? Immerhin 14 Stücke (inklusive zwei Bonustracks) warten darauf den Hörer 55 Minuten lang in einer andere Welt zu entführen.
'Troja' hört sich genau so an, wie man es von den letzten Alben erwartet hat. Harter Deutschrock, bei dem lediglich noch die Dudelsäcke an die Mittelalterzeiten erinnern. Ok, es gibt da schon noch quasi ein Mittelaltersolo im hinteren Teil des Liedes, aber wirklich viel bleibt hier leider nicht hängen. Es folgt bereits der Titeltrack 'Kompass zur Sonne', welches sehr eingängig daher kommt, aber leider auch komplett überraschungslos wieder verhallt. 'Lügenpack' ist durch und durch eine typische Deutschrock-Angelegenheit und bringt sogar textlich die bekannte Proll-Attitüde mit sich. Politisch natürlich in einer ganz anderen Ecke einzuordnen, als manch andere Band aus diesen Gefilden.
Bei 'Gogiya' erwartet uns ein Feature mit Russkaja und diese russischen Töne die sich hier dadurch wiederfinden gefallen mir sehr gut. Ein sehr schneller Song und auch mit der ein oder anderen Härte und damit deutlich besser als alles was davor auf "Kompass zur Sonne" zu finden war. Komplett in Latein gehalten ist 'Salva Nos', wo sich dicke Riffs und Beats mit Mittelalterklängen die Hand geben. Aber irgendwo im Studio ging wohl der vernünftige Mix dafür verloren, was sehr schade ist. Ruhiger wird es bei 'Schenk Nochmal Ein' welches als Ballade daher kommt. Mit fast fünf Minuten ist es das längste Stück des Albums, es schafft es aber nicht sich damit in mein Herz zu spielen.
Die komplette Ladung an Gesellschafts- und Politkritik gibt es mit 'Saigon und Bagdad' auf die Ohren. Man setzt hier sogar auf Kinderstimmen um den Hörer noch etwas betroffener zu machen. Für IN EXTREMO-Verhältnisse handelt es sich um einen überraschend deutlichen und harten Text. Unerwartet, aber gerade deswegen eine sehr starke Nummer. Das 'Narrenschiff' erklingt dann wieder im gewohnten Stil und segelt weiter ohne einen besonderen Eindruck zu hinterlassen. An 'Wer Kann Segeln Ohne Wind?' erinnert man sich deutlich einfacher, da hier Johan Hegg von Amon Amarth auf schwedisch ein paar Teile einsingt, aber ohne ihn würde die Sache hier auch eher trist aussehen.
Ein Sauflied darf natürlich auch nicht fehlen und deswegen heißt es 'Reiht Euch Ein Ihr Lumpen'. Eine wirklich gute und eingängige Melodie und dazu ein einfacher Mitgröhltext. Erinnert teilweise aber schon sehr stark an Die Toten Hosen mit Mittelalter gemischt. Aber als Spaßnummer funktioniert es wirklich sehr gut und das soll mir reichen. Das ein Titel namens 'Biersegen' so ruhig beginnt hätte ich ja nicht erwartet, erst nach gut 40 Sekunden kommt das Tempo dazu. Es ist das zweite Mal auf "Kompass zur Sonne" das der Text komplett in Latein gehalten ist. Auch wenn ich nicht verstehe worum es geht, so macht es einfach sehr viel Spaß dieses Lied zu hören. Als letztes reguläres Stück wartet das 'Wintermärchen' fast durchgehend nur mit klassischen Mittelalterklängen auf und erst zum Schluss gibt es kurz die Instrumente der Rockmusik zu hören. Als Bonusstücke gibt es noch 'Brüder' ein typischer Song wie man ihn schon öfter von IN EXTREMO gehört hat und eine Elektro Version von 'Saigon und Bagdad' welche nun wirklich nicht hätte sein müssen.
Um die Frage in der Einleitung zu beantworten, nein IN EXTREMO werden mit "Kompass zur Sonne" in meinen Augen ihrem Status nicht gerecht. Die Hitdichte ist gering, kaum ein Song bleibt länger im Kopf und von ein paar Experimenten abgesehen steht die musikalische Entwicklung leider erschreckend stil. Fast wirkt es so wie eine B-Seite zum letzten Album "Quid Quo Pro", welches auf ganzer Linie deutlich besser war. Fans finden sicherlich für sich das ein oder andere Lied welches sie lieben werden, für mich ist nach mehrmaligen hören außer 'Saigon und Badgad' und 'Gogiya' erschreckend wenig hängen geblieben. Und das darf bei einer Band solchen Kalibers eigentlich nicht passieren. Wirklich schade drum und das nach einer so langen Pause seit dem letzten Album.
Album-VÖ: 08.05.2020