(InsideOut Music/ Sony Music)
Innerhalb von 13 Jahren haben es HAKEN aus London geschafft, sich im weiten Feld des progressiven Rock/Metal einen Namen zu erspielen, der respektvolle und begeisternde Reaktionen auslöst. Zuerst sind da die bisher sechs Alben (inkl. dem neuen Werk "Virus"), die die enorme Bandbreite im Schaffen der Band konserviert und beeindruckende Kompositionen parat hält, die zwischen den Polen Progressiv-Rock/ Post-Metal mächtig Alarm machen. Hier trifft Anspruch auf Eingängigkeit und die Lust komplexe Songstrukturen auf einen einfachen Nenner herunterzubrechen - die Hingabe zur Musik, die vielleicht nicht für Jedermann greifbar ist, aber ein Potential in sich trägt, welches HAKEN mit einer fokussierten Ernsthaftigkeit präsentieren - dabei aber niemals zu verbissen agieren lässt. Hier kann man Vollblutmusiker und einzigartige Songschreiber erleben, die auch live alles abreissen und den Zuschauer staunend zurücklassen.
Dass der Titel der Platte irgendwie prophetisch klingt, kann man HAKEN nicht anlasten - der Titel stand, bevor uns ein richtiger "Virus" den Spass am Entertainment genommen hat. Obwohl es gerade in der aktuellen Zeit verdammt wichtig ist, Ablenkung zu finden und sich von der Kreativität der Künstler mitreissen zu lassen. Soviel sei bereits verraten: Wer sich "Virus" konzentriert anhört und mit allen Sinnen erlebt (ich empfehle Zeit und gute Kopfhörer), kann die Außenwelt für eine knappe Stunde komplett ausblenden, denn die 11 Songs nehmen dich mit auf eine Reise, die als Konzept die Auseinandersetzung mit persönlicher und gesellschaftlicher Negativ-Einflüsse bearbeitet - wobei man niemals das Fünkchen Hoffnung übersehen sollte, die den Texten und v.a. der Musik innewohnt. Zugegebenermaßen sind die Songs nicht unbedingt für die nächste Baggersee-Sause geeignet, die positive Kraft der Lieder entfaltet sich eher im Inneren des Zuhörenden, der/die gestärkt und zuversichtlich nach dem Hörerlebnis weitermacht.
Was mich persönlich an progressiven Ansätzen im Rock/Metalbereich immer stört, ist der Einsatz eines Keyboards - die Schwingungen und Töne sind in meinen Ohren teilweise kontraproduktiv zum gewünschten Ergebnis und machen viel Atmosphäre kaputt, wobei andere Menschen gerade die Erzeugung ebendieser hervorheben. Naja, sei's drum - sollte nur mal erwähnt sein, um meine subjektive Meinung einordnen zu können. Denn auch HAKEN bedienen sich (bisweilen ausgiebig) diesem Instrument.
Furioses Riffing, Double-Bass-Attacken und knackige Programmierung der elektronischen Musikunterstützung - so eröffnet 'Prosthetic' das Album und leitet sodann in den Gesang über, der stakkatomäßig und roboterhaft abgemischt ist, um im Refrain einen unglaublichen Melodiebogen zu schlagen. Der Song schlängelt sich ab diesem Zeitpunkt mit großartigem Gitarrenspiel und spannenden Momenten gen Ende, wobei die erwähnten Soundeffekte nicht zwingend erforderlich sind. 'Invasion' geht in die gleiche Richtung, probiert sich noch mehr aus und hat sphärische Flächen, dessen Dynamiken, dem Song sehr gut tun, da die darauffolgenden Eruptionen umso mehr wirken und die aufgestauten Emotionen frei lassen.
Das songwriterische Juwel 'Carousel' nimmt sich über 10 Minuten Zeit und lässt Dredg-Momente ebenso zu wie Metal-Attacken und Jazzeinlagen - irgendwo zwischen Prog- und Proto-Rock angesiedelt, entfaltet das Monstrum einen Sog, dem man sich schwerlich entziehen kann. Menschen wie Omar-Rodriguez Lopez (At The Drive-In) oder Steve Wilson (Porcupine Tree) würden vor Freude in die Hände klatschen, hätten sie diese Songideen gehabt. Der nachfolgende Track 'The Strain' probiert es dann mit eingängigen Strukturen, die fast schon im Alternative-Rock eingeordent werden können. Für HAKEN sehr unspektakulär, aber durchaus entspannt und schön anzuhören, was ohne Wenn und Aber auch 'Canary Yellow' zugeschrieben werden kann. Die bereits erwähnten Dredg (so es sie denn noch gibt) würden sich die Finger lecken, hätten sie solche Songs zukünfig im Portfolio.
Der Konzept-Mittelpunkt ist auch gleichzeitig der musikalische Höhepunkt der Platte, denn die fünf-geteilte Komposition 'Messiah Complex' mit den Kapiteln 'I - Ivory Tower', 'II - A Glutton For Punishment', 'III - Marigold', 'IV - The Sect' und 'V - Ectobius Rex' vereint alle Talente der Band in einem konzeptionellen Rahmen. Hymnischer Rock trifft auf rhythmisches Gefrickel, was sich in einigen Momenten zum Nu-Metal (Deftones-Style) hinreissen lässt. Ein Black-Metal-Blastbeat konkurriert mit Freejazz-Elementen, vergisst aber nicht nicht im nächsten Moment die große Geste auszupacken. HAKEN haben einfach jegliche Konventionen über Bord geworfen und lassen ihren verrückten Ideen den nötigen Raum, um den Wahnsinn zu vertonen. Den versöhnlichen Schlusspunkt und perfekt platzierte Verschnaufpause setzt dann 'Only Stars' und bedient sich einem anspruchsvollen Radiohead-Vibe.
HAKEN setzen neue Maßstäbe mit ihrem Progressive-Metal, indem sie traditionelle Herangehensweisen filetieren und neu zusammenbauen. Man darf die Engländer für ihren Mut beglückwünschen, weit ab vom langweiligen "auf-Nummer-sicher-gehen" tätig zu sein und mit "Virus" ein grenzüberschreitendes und trotzdem homogenes Album geschaffen zu haben. Und die Keyboards nerven gar nicht sooo sehr. 🙂
Album-VÖ: 24.07.2020