Am nächsten Freitag läuten MADSEN ein neues Kapitel ihrer Bandgeschichte ein. Dann erscheint mit "Na Gut Dann Nicht" die erste reine Punk-Platte der sympathischen Wendländer. Anlass genug um mit Band-Chef Sebastian MADSEN einen kleinen Plausch über die Entstehung des Albums, Live-Entertainment und natürlich Corona zu halten.
MADSEN – Na Gut Dann Nicht
Gestromt: Hallo Sebastian, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zur neuen Platte. Es ist (fast) das MADSEN Album geworden, welches ich mir immer gewünscht habe. Es gab ja immer mal wieder punkig angehauchte Stücke von euch, und ich habe mir immer gewünscht, dass ihr das mal ein komplettes Album durchzieht.
Sebastian MADSEN: Freut uns sehr!!
Gestromt: Wie hat sich der Songwritingprozess von einem „normalen" MADSEN-Album unterschieden?
Sebastian: Also, der größte Unterschied war der zeitliche Aufwand. Mittlerweile schreibe ich 2 - 3 Jahre an einem „normalen" Madsen Album. Dieses hier haben wir zusammen in 2 Wochen geschrieben und produziert. Und dass wir so im Kollektiv geschrieben haben, das war auch neu. Das war eine schöne Erfahrung. Ich konnte einen großen Teil der Verantwortung auch mal abgeben und wir konnten unseren gemeinsamen Humor besser zeigen als je zuvor.
Gestromt: Die Gesangsparts liegen bei dem Album nicht ausschließlich bei Sebastian. War das von Anfang an geplant oder hat es sich erst im Laufe der Aufnahmen ergeben, dass alle Mitglieder der MADSEN Familie etwas zum Gesang beizusteuern?
Sebastian: Bad Religion sind große Vorbilder von uns. Keine andere Punkband beherrscht den

Sebastian Madsen an der Gitarre beim Serengeti Festival 2015 (Foto by Mark Haake)
Harmoniegesang so gut wie diese Band. Zunächst wollten Johannes und ich diesen Stil aufgreifen und viele zweistimmige Sachen ausprobieren. Dann hat Johannes so gut gesungen, dass ich immer mehr Parts abgeben wollte. Dann dachten wir: Ok, dann sollten Sascha und Niko auch eine Chance bekommen und siehe da - die beiden sind unfassbar geile Punksänger. Wenn das so weiter geht, spiele ich bald nur noch Gitarre.
Gestromt: Gab es besondere musikalische Vorbilder denen ihr auf der Platte „nacheifern" wolltet? 'Herzstillstand' nennt ja einige Bands, die durchaus als Vorbilder dienen konnten.
Sebastian: Oh, da gibt es einige: Slime, Toxoplasma, Hass, Boskops, Schleimkeim, Daily Terror, Dritte Wahl, Hosen und Ärzte... Und dann natürlich die ganzen internationalen Bands: The Clash, The Exploited, Sex Pistols, Ramones...
Gestromt: Hört ihr selber noch viel Punk? Gibt es Platten aus dem Genre die ihr empfehlen würdet?
Sebastian: Aktuell gefallen mir aus Deutschland Knochenfabrik und Rastaknast sehr gut. Die kannte ich noch nicht und bin auf die gestoßen als ich mich wieder aktiv mehr mit Deutschpunk befasst habe. Montreal sind auch eine meiner Lieblingsbands und die besten Typen sowieso.
Gestromt: Mit 'Na Gut Dann Nicht' und 'Behalte Deine Meinung' sind bereits zwei Songs vorab veröffentlicht worden. Welches Feedback habt ihr bis jetzt erfahren? Hat euch etwas überrascht?
Sebastian: Wir hatten wirklich keine großen Ambitionen mit diesem Album. Wir haben ja auch irgendwann während der Produktion entschieden, dass das überhaupt ein Madsen Album wird. Vorher dachten wir eher: kommt, wir gründen eine neue Band! Das Feedback auf die ersten Stücke ist ziemlich beeindruckend. Unsere Fans konnten wir bisher nicht verschrecken und von rechts außen gibt es auch einige Kommentare. Diese löschen wir auch gerne, wenn es zu asozial oder bedrohlich wird. Aber sie zeigen uns auch: wir haben die richtigen Leute aufgeschreckt. Gut, dass die sich aufregen.
Gestromt: Im Clip zu 'Behalte Deine Meinung' spielt euer alter Keyboarder Folli mit. Wie kam es dazu? Habt ihr noch regelmäßig Kontakt zu ihm? Macht er noch Musik?
Sebastian: Folli ist ja im Guten mit uns auseinander gegangen und wir sind nach wie vor Freunde. Wir sind immer mal wieder im Kontakt und machen auch noch viel Musik zusammen, das sind dann aber eher Spaßprojekte. Seine aktuelle Band heißt „Muul Op!" - ein Folkduo mit plattdeutschen Texten. Für die habe ich ein Video gedreht und im Gegenzug hat Folli dann in unserem Video mitgespielt.
Gestromt: Inhaltlich ist die Platte sehr politisch geworden. War es euch besonders wichtig mit dieser Platte auch politisch zu werden? Oder hat es sich einfach ergeben, da viele Themen momentan so drängend erscheinen?
Sebastian: Das hat sich so ergeben. Mit politischen Texten tue ich mich auch normaler Weise etwas schwer. Das kann schnell peinlich werden, vor allem wenn man den Zeigefinger erhebt. Bei diesem Album kamen uns die Themen aber einfach zugeflogen. Wir mussten ja nur Nachrichten gucken oder Radio hören. Das ist ja genug Stoff vorhanden: Verschwörungstheroretiker, Trump, Black lives matter, Corona, Faschismus, Moria.. All diese Themen konnten wir dieses Mal spielerisch, ernsthaft und auch humorvoll verarbeiten.

Madsen Tour-Gitarrist Mücke. Auf dem neuen Album widmet ihm die Band eine wahre Hymne.
Gestromt: Zum Ende des Albums widmet ihr eurem Tour-Gitarristen Mücke eine kleine Hymne. Wie hat er reagiert, als ihr ihm den Track vorgespielt habt?
Sebastian: Er war so gerührt! Erst letzte Woche haben wir ihn wieder gesehen - seit November letzten Jahres. Er ist durch seine lockere Art und durch seine Gitarren Skills unheimlich wichtig für Madsen geworden. Und das wollten wir ihm einfach mal mit diesem Lied zeigen. Er sagt im Emsland (seiner Heimat) ist das Ding jetzt schon eine Hymne.
Gestromt: Als Sprecher für den Epilog habt ihr Benjamin von Stuckrad Barre verpflichten können. Wie kam es zu diesem Kontakt? Ich kann sein Statement übrigens nicht wirklich einordnen. Ich bin mir unsicher ob das ernst gemeint ist oder völlig ironisch.
Sebastian: Ja, das ist 100% Stucki! In seinem Kopf ist viel los aber wenn man genau hinhört, dann ist sein Statement eine Liebeserklärung an unsere Band. Wir haben uns Anfang des Jahres über Instagram geschrieben und wurden Corona-Telefon-Freunde. Er ist einer der ersten, die das fertige Album gehört haben und er hatte und hat viele gute Ideen dazu. Wir nennen ihn mittlerweile Bandberater Nr. 1.
Gestromt: Das Album erscheint via KEEK Records. Eure eigene Plattenfirma. Wie kam es denn zu diesem Vorhaben? Plant ihr auch Platten anderer Bands via KEEK zu veröffentlichen?
Sebastian: Wir veröffentlichten dieses Album zum ersten Mal mit unserem eigenen Label zusammen mit Arising Empire, mit denen wir auch nach wie vor total gerne arbeiten. Und doch ist es ein erster Schritt in Richtung DIY. Wir haben einfach mehr Selbstbewusstsein bekommen in letzter Zeit. Das Album haben wir komplett alleine aufgenommen und produziert und auch die Videos haben wir alle selbst gemacht. Wobei da noch eines kommt, dass wir mit unserem Freund Dennis Dirksen gedreht haben. Wir wissen immer genauer mit wem wir arbeiten wollen und mit wem nicht. Keek Records steht noch ganz am Anfang aber es kann gut sein, dass wir da in Zukunft auch noch mit anderen Bands arbeiten.
Gestromt: Ich finde man hört dem Album eine gewisse Unmittelbarkeit an. Da ist sehr viel Energie und ich hoffe sehr das einige Songs davon in die Setlist der nächsten MADSEN-Konzerte wandern werden. Und damit sind wir beim schwierigen Thema: Live-Musik in Pandemiezeiten. Eure zuletzt angedachte Tour ist vom März 2020, in den Januar 2021 und nun letztendlich in den September 2021 verschoben worden. Aber selbst da steht ja noch ein großes Fragezeichen hinter. Wie läuft der Kontakt mit den Veranstaltern, der Crew, etc.? Viele Leute sind ja von euch abhängig, fühlt ihr euch dabei in einem besonderen Maße verantwortlich? (Stichwort: Alarmstufe Rot)
Sebastian: Ja natürlich. Den Kulturzweig trifft die Krise wirklich besonders hart. Veranstaltungen sind das letzte Glied in der Kette. Und Künstler/innen sind oft in ihrer eigenen Welt und verpennen viele wichtige Dinge, weil sie sich in erster Linie um ihre Kunst kümmern. Aber wir müssen die Sache jetzt gemeinsam in die Hand nehmen. Fest steht, dass sich bisher zu wenig um die Kultur gekümmert wurde, denn gerade die braucht jetzt finanzielle Hilfe.
Gestromt: Die Veranstaltungsbranche macht eine sehr schwere Phase durch. Es gab dieses Jahr hier und da einige Versuche Live-Entertainment anzubieten. Autokino-Konzerte, Picknick-Konzerte, Live-Stream Konzerte, etc. - vieles davon ist alles andere als wirtschaftlich und keine Lösung für die Zukunft. Habt ihr Anfragen für solche Dinge erhalten? Habt ihr selber irgendwelche Shows/Veranstaltungen besucht?
Sebastian: Ja, es gab Anfragen. Aber Madsen Konzerte leben von Energie - singen, tanzen, schwitzen. Vor Autos wollten wir bisher einfach nicht spielen, weil die Band so nicht funktioniert. Auch ich selbst war bisher auf keinen Konzerten, weil ich einfach ein sehr vorsichtiger Mensch bin. Neulich ist allerdings etwas Tolles passiert. Ich lebe in Berlin, wenn ich mich nicht im Wendland herumtreibe. Und da hörte ich aus dem Innenhof klassische Musik. Als ich auf den Balkon ging sah ich ein Ensemble der komischen Oper Berlin. Die hatten sich überlegt: Wenn wir schon keine Konzerte in unserem Haus spielen können, dann gehen wir doch einfach zu den Menschen. Die haben dann 3 Lieder gespielt und ich war zu Tränen gerührt, weil ich so lange schon keine Livemusik mehr gehört hatte. Das fehlt mir schon wirklich sehr.

Da war die Welt noch in Ordnung. MADSEN rocken die Festivalbühne.
Gestromt: Wie planen MADSEN denn das Jahr 2021, wenn es mit so vielen Unsicherheiten verbunden ist?
Sebastian: Es ist wohl eine Mischung aus Planen und hoffen. Wir haben ja noch ein weiteres Madsenalbum in der Pipeline, dass wir geschrieben und vorproduziert haben und nur noch aufnehmen müssen. Das werden wir auf jeden Fall tun, wahrscheinlich fangen wir damit sogar schon dieses Jahr an. Und dann wollen wir einfach nur spielen! Wenn das nicht geht, müssen wir mal schauen. Vielleicht nehmen wir dann einfach ein Nothern Soul Album auf. Darauf habe ich auch schon lange Bock. An Ideen mangelt es nicht.
Gestromt: Werdet ihr die unveröffentlichten Songs nochmal überarbeiten? Viele Künstler tun sich ja schwer mit dem Moment die Songs „loszulassen" und als fertig anzusehen. Habt ihr da ähnliche Erfahrungen?
Sebastian: Ja! Ich habe 2 Jahre lang Songs für dieses Album geschrieben und dann kam Corona und Punk. Wir haben die Lieder jetzt erstmal ganz bewusst bei Seite gelegt und gehen da nochmal mit frischen Ohren ran. Mit Sicherheit werden wir unsere aktuellen Erfahrungen mit ins nächste Album einfließen lassen. Wir sind mutiger und geradliniger geworden und das gefällt uns gerade ganz gut.
Gestromt: So, das war es an Fragen. Ich wünsche euch viel Erfolg mit der neuen Platte und vor allem bleibt gesund. Wir sehen uns hoffentlich beim Moshpit in Hannover 2021.
Sebastian: Das wäre genial!!
Oktober 15, 2020
Tolles uns sehr authentisches Interview.
Madsen hat auch nach vielen Jahren des Erfolges die Bodenhaftung nicht verloren und setzt auch mit der aktuellen Situation auseinander.
Viel Erfolg gestromt.de – weiter so 👍