(Iron Pages Verlag)
35 Jahre nach Gründung der New York Hardcore-Urgesteine SICK OF IT ALL gibt es erstmals eine autorisierte Biografie der Band, die v.a. wegen des Brüderpaars Lou und Pete Koller so lange Bestand und Erfolg hat. Man darf den beiden und dem Autor Howie Abrams zu einem rundherum unterhaltsamen Lesevergnügen gratulieren, denn der Aufbau und die Umsetzung des Buches ist außergewöhnlich, weil sehr nah dran am Leben der Koller-Brüder und kann mit einem Stilmittel überzeugen, welches ich in dieser Form noch in keiner anderen Biografie lesen konnte.
Die chronologische Aufarbeitung der Bandhistorie wird nämlich in einer Art Interview dargelegt, wobei man sich immer wieder vorkommt, als wenn man mit den Koller-Brüdern zusammen im Backyard sitzt und bei Drinks den Geschichten und Anekdoten lauscht. Die beiden werfen sich die Bälle zu und schwelgen in Erinnerungen, die nicht immer positiv behaftet sind, aber "frei von der Leber" weg erzählt werden. Man hat niemals den Eindruck als wenn irgendwas beschönigt oder nostalgisch verklärt wird. Hier sprechen zwei Vollblutmusiker, denen ihre Band alles bedeutet. Es werden aber niemals peinliche Lobeshymnen auf sich selbst geliefert, denn die beiden haben ein feines Gespür für Selbstironie, was die Geschichten aus vergangenen Tagen zu einem tollen Entertainment-Programm macht.
Der Aufbau des Buches ist wie erwähnt chronologisch. So geht es von der Gründung der Band, über Demos, die per Kassette in einschlägigen Plattenläden vertickt wurden über erste Erfolge, als Songs von SICK OF IT ALL bei Revelation Records erschienen sind. Vom lokalen Ereignis, zum landesweiten Hardcore-Phänomen plus weltweite Touren. Die Entbehrungen und die Erfahrungen können Pete und Lou wunderbar pointiert wiedergeben. Welche Probleme es mit Fans gibt und gab, das Klischee der Schlägertypen, welches SOIA jahrelang anhaftete. Bandmitglieder die gegangen sind oder gehen mussten. Nazis, die bei Shows für Unruhe sorgen. Die Engstirnigkeit der Hardcore-Szene, die es als Verrat ansehen, wenn man Platten beim Mayor veröffentlicht oder mit Hip-Hop-Artists zusammenarbeitet.
Aber nicht nur Familie Koller (inkl. deren Dad) kommt zu Wort, auch gefühlt tausende Wegbegleiter und Mitglieder von Bands, mit denen die HC-Urgesteine aus Queens zusammen getourt sind, dürfen ihre Erlebnisse erzählen. So gibt es Stories von Bands wie Napalm Death, Agnostic Front, D.R.I., Sepultura etc. bis zu jedem Hans & Franz des NYHC, die über den Einfluss von SICK OF IT ALL philosophieren und die Menschen hinter der Band als wunderbar empathische Zeitgenossen porträtieren.
Das Buch ist reichlich bebildert - es gibt kaum offizielle Promofotos, sondern die Brüder haben tief im Archiv gegraben und amüsante Fotos und alte Flyer hervorgekramt, die den Weg der Band visuell toll darstellen.
Eine etwas andere Biographie, die sich leicht und flüssig weglesen lässt und ein ums andere Mal für Erstaunen und Amüsement sorgt. Auch wenn man Hardcore-Fan der ersten Stunde ist, haben Lou und Pete einige Stories auf Lager, die hier sicherlich das erste Mal erzählt werden.
Buch-VÖ: 26.02.2021